DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
69. Fortsetzung
Jeder Maler konnte sechs bis acht Bilder beisteuern, und Claude hatte sich für zwei seiner ausgelösten Seestücke aus Le Havre entschieden, die bereits gerahmt waren. Die anderen brauchten noch Rahmen, einschließlich einiger, die er im vergangenen Sommer gemalt hatte, als er mit Camille und Jean in einem kleinen Dorf an der Seine in der Nähe des Badeplatzes La Grenouillère gewesen war. Auguste, dessen Familie nicht weit entfernt wohnte, hatte mit ihm zusammen dort gemalt.
Die beiden Künstler standen unter dem Wald von Rahmen, die an Seilen von der Decke hingen – Rahmen aus den verschiedensten Hölzern, unterschiedlich im Gewicht, bemalt, vergoldet oder mit geschnitzten Blumenmustern verziert. Jeder einzelne schien zu flüstern: In mir könnte das Werk eines großen Künstlers zum Leben erwachen.
,,Erinnerst du dich, wie wir uns in der Kunstschule kennengelernt haben?", fragte Auguste. ,,Du hast mit niemandem gesprochen."
,,Ich war nicht sehr selbstsicher."
Sie griffen hinauf, um den einen oder anderen Musterrahmen herunterzunehmen. Sie berührten sie sanft, ließen sie pendeln wie Windspiele, die mit leichtem Klirren aneinanderstießen und wieder auseinanderstrebten. Sie knieten sich hin und probierten die Rahmen an ihren Bildern aus.
Nach mehren Stunden entschieden sie sich, schwankten zwischen Schönheit und Kosten, schlossen Kompromisse.
,,Monsieur", fragte Auguste den Rahmenhändler, ,,sind Sie bereit, eine kleine Anzahlung von uns anzunehmen, der Rest zahlbar innerhalb der nächsten drei Monate?"
,,Bien sûr", erwiderte der Mann. ,,Kommen Sie in einer Woche wieder, dann wird alles fertig sein."
An diesem strahlenden Herbsttag gingen sie pfeifend durch die Straßen zu ihrem alten Café im Quartier des Batignahm nolles, sprangen wie Jungen hoch, um Äste zu berühren, stolperten über einen Kinderwagen, zogen die Hüte und riefen: ,,Pardon, Madame!" Claude ließ den Blick durch die Pariser Straßen schweifen, betrachtete die Kirchen, die Läden, die Stühle vor den Cafés, auf denen man nur noch für kurze Zeit würde draußen sitzen können. Gläser glitzerten auf den Tischen, die Bäume trugen schwer an ihrer späten Septemberfülle.
Die Maler warteten an ihrem Tisch mit der gesprungenen Marmorplatte, die Hüte an Haken über ihnen. Sie schüttelten sich die Hände, setzten sich und bestellten.
,,Wir haben unsere Rahmen ausgesucht", verkündete Auguste und griff nach dem Brot von jemand anderem.
,,Wofür habt ihr euch entschieden?" ,,Das Zweitbeste für mich, für Claude nur das Beste. Dieser Dandy!"
,,Ich mache mir keine Sorgen. Ich werde die Bilder, die wir im Sommer gemalt haben, für sechshundert Francs das Stück verkaufen. Du genauso. Wart ihr schon in den Räumen, in denen wir ausstellen werden? Sie liegen direkt an den Champs-Élysées. Heute Morgen habe ich die ersten Plakate und die erste Zeitungsanzeige gesehen. Aber wo sind Sisley und Frédéric? Wir waren für vierzehn Uhr verabredet."
Sie blickten durch das schmutzige Fenster auf die Straße und die draußen aufgestellten Tische und Stühle.
Sie warteten schon seit über einer Stunde, als sie Sisley mit finsterem Gesicht auf sie zukommen sahen. Er
seinen Hut ab und blickte sie alle ernst an. Langsam setzte er sich auf einen Stuhl. ,,Die Ausstellung ist verschoben worden", sagte er.
,,Ich komme gerade aus dem Atelier. Frédéric rannte hinaus, als ich eintraf. Er sagte nur, seine Familie hätte die Zusage, unsere Ausstellung zu finanzieren, plötzlich zurückgenommen. Irgendwas sei passiert. Er war schrecklich verstört und sagte, er werde sofort nach Montpellier fahren, um mit ihnen zu reden."
Claude sprang auf. ,,Sie haben ihr Wort gebrochen? Warum ist er nicht hergekommen, um es uns mitzuteilen? Er muss sich schrecklich fühlen! Ich werde ihn suchen."
,,Zu spät. Sein Zug ist inzwischen abgefahren."
,,Tja", sagte Pissarro, ,,wir sind wohl eine anonymere Gesellschaft, als ich gedacht hatte. Ehrlich gesagt, sind wir vollkommen anonym. Ja, es gibt uns nicht mal. In den Zeitungen wird etwas angekündigt, was nicht sein wird."
Alle redeten durcheinander, doch Claude atmete tief durch und sank auf den fadenscheinigen Samtpolstern der Bank zurück. Er begriff, dass nun niemand die herrlichen Bilder sehen würde, die in diesem Sommer in La Grenouillère entstanden waren. Alles, was für diesen Herbst geplant war, hatte sich von einem Moment auf den anderen in Luft aufgelöst: die Ausstellung, die Besucherscharen, gefeiert zu werden, Vertragsabschlüsse mit einem Kunsthändler, Verkäufe. Am verwirrendsten war, dass er keine Ahnung hatte, wieso. Was um alles in der Welt war bloß zwischen Frédéric und seiner Familie vorgefallen? Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
,,Die Kosten für das Rahmen", sagte Auguste traurig und aß die letzten Brotkrumen auf.
Claude erhob sich. ,,Ich sollte es wohl besser Camille erzählen", sagte er, verließ das Café und ging zurück zum Fluss.