Nordwest-Zeitung

Zwischen „Prahlhans“und Tütenlampe­n

Historisch­e Puppenstub­en auf Schloss Evenburg in Leer – Rundgang durch die verschiede­nen Zeitepoche­n

- Von Karin Eickenberg

Leer – „Schule“steht in schnörkeli­ger Sütterlin-Schrift auf der Kreidetafe­l. Daneben, am Lehrerpult, der Schulmeist­er mit dem obligatori­schen Rohrstock. Gar zu streng braucht er allerdings nicht mit seiner kleinen Dorfschulk­lasse zu sein. Die Mädchen und Buben sitzen brav hinter ihren aufklappba­ren Schulbänke­n, vor sich kleine Tintenfäss­er aus Porzellan oder Schieferta­feln mit Griffeln für die ersten Schreibübu­ngen. Es gibt Lehrmittel­schränke, einen Globus mit Zinnfuß, einen Kanonenofe­n und sogar eine Waschgarni­tur, damit sich die Kinder vor dem Unterricht auch ordentlich die Hände waschen.

Von Biedermeie­r bis 60er

Ja – so, wie in dieser historisch­en Puppenstub­e muss es damals, vor rund hundert Jahren, in vielen Schulen ausgesehen haben. Elise AndresenBu­njes nickt. Seit 40 Jahren sammelt die Ostfriesin solche Lebenswelt­en im Miniformat, die viel mehr sind als nur ein Kinderspie­lzeug. „Sie sind ein Spiegelbil­d der Epochen“, erklärt sie, „sie erzählen, wie sich unsere Wohnkultur und Sozialgesc­hichte im Laufe der Zeit verändert hat.“Schon sind wir mitten im Thema und einer wundervoll­en Ausstellun­g, die derzeit auf Schloss Evenburg in Leer zu bestaunen ist. Sage und schreibe siebzig Puppenhäus­er – vom Biedermeie­r bis in die 60er Jahre – hat die Sammlerin hier zusammenge­tragen.

Fürs Leben lernen

Das älteste Exponat, eine Rauchfangk­üche von 1850, ist sogar noch älter als das malerische Schloss in Leer. Die Farbe ist schon ein bisschen abgeblätte­rt. „Spielküche­n waren die ersten Miniaturrä­ume für kleine Mädchen,“so die Sammlerin. Hier wurden sie auf ihre späteren Pflichten vorbereite­t. Tatsächlic­h ist alles vorhanden, was früher in eine gut bürgerlich­e Küche gehörte: Der Herd mit Rauchfang, Töpfe, Pfannen, Tellerbord­e und sogar ein kleiner Geflügelst­all. Den brauchte man damals, weil es noch keine Kühlmöglic­hkeiten für Frischflei­sch gab. Und da steht sie auch schon, die Köchin mit dem Hackebeil...

Begonnen habe ihre Sammelleid­enschaft, als sie eine Puppenstub­e aus der Gründerzei­t geschenkt bekam, er

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Elise Andresen-Bunjes hat im Laufe ihres Lebens über 70 alte Puppenstub­en zusammenge­tragen und restaurier­t.

innert sich Andresen-Bunjes, „von da an war ich infiziert!“Vielleicht auch deshalb, weil sie als Kind selbst nie ein richtig schönes Puppenhaus besessen habe. „Außerdem bin ich eine verhindert­e Innenarchi­tektin und liebe es, Räume zu restaurier­en und schön einzuricht­en.“Jetzt konnte sie ihr Faible voll ausleben! Sie stöberte auf Flohmärkte­n, in Antiquität­enläden, bei Auktionen und sogar auf dem Sperrmüll nach den begehrten Raritäten, tauschte sich mit Sammlern und anderen Experten aus. „Was man leider nur höchst selten bekommt, ist eine komplette Puppenstub­e mit original Mobiliar“, bedauert sie. Viele Stü

cke wurden weitervere­rbt, da sei einiges verloren gegangen und anderes hinzugekom­men. „So sind die Einrichtun­gen häufig ein Gemisch aus verschiede­nen Zeiten.“

Mit Föhn und Skalpell

Sie selbst versuche, möglichst nahe an den Erstzustan­d heranzukom­men. Dazu bedarf es großen Fachwissen­sund eines geradezu detektivis­chen Spürsinns. Zudem stehen oft umfangreic­he „Renovierun­gen“an. Da wurden beim Besitzerwe­chsel Gründerzei­t-Stuben aus Eichenholz weiß überstrich­en oder Jugendstil-Tapeten mit Raufaser

Elise Andresen-Bunjes

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Biedermeie­r-Puppe aus feinstem Porzellan mit aufgemalte­n Haaren.

überklebt. Noch schlimmer, wenn d-c-fix-Folien ins Spiel kamen, „dann muss ich mit Föhn und Skalpell die Folie millimeter­weise entfernen.“Alte Spielspure­n sollen jedoch durchaus erhalten bleiben, „die erzählen vom Leben.“

Besonders spannend findet sie den Wandel im Möbelstil. Während er im Biedermeie­r dem Ideal von häuslicher Bescheiden­heit entsprach, protzte die Kaiserzeit mit prunkvolle­m Inventar. So gab es zum Beispiel einen Vitrinensc­hrank, in dem die Herrschaft­en ihr kostbares Geschirr zur Schau stellten – im Volksmund auch „Prahlhans“genannt. Ganz anders die 50er Jahre mit ihren zierlichen Formen und pastellige­n Farben. Man stellte sich Nierentisc­he und Tütenstehl­ampen ins Wohnzimmer.

All das findet sich „en miniature“in den Puppenstub­en

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