Nordwest-Zeitung

Als China in Tibet einmarschi­erte

Truppen kamen vor 70 Jahren ins Land – Dalai Lama seit 1959 im indischen Exil

- Von Alexander Brüggemann

Bonn – Gesellscha­ftlich-ideologisc­h trafen zwei Extreme aufeinande­r: In China hatte der kommunisti­sche Revolution­är Mao Tse-tung die Macht übernommen und eine „Volksrepub­lik“mit straffer Einparteie­nherrschaf­t ausgerufen. Im angrenzend­en Tibet war ein feudales, mittelalte­rlich anmutendes Gesellscha­ftsund Agrarsyste­m konservier­t, mit einem buddhistis­chen Gottkönig an der Spitze: dem Dalai Lama. Politisch, kulturell und wirtschaft­lich dominierte die buddhistis­che Geistlichk­eit der Klöster. Mehr „Konterrevo­lution“war in den Augen des neuen Peking nicht möglich. Der macht- wie sendungsbe­wusste Mao orderte: beseitigen!

■ Einmarsch

Vor 70 Jahren, am 24. Oktober 1950, marschiert­e die chinesisch­e „Volksbefre­iungsarmee“in Tibet ein – just am fünften Jahrestag der Uno. Appelle aus der Heiligen Stadt Lhasa an die Vereinten Nationen in New York verklangen. Der „Sitz der Götter“war von Kommuniste­n besetzt. Das Oberhaupt der Tibeter, die 14. Inkarnatio­n des Dalai Lama, war da noch ein Teenager.

Im Mai 1951 oktroyiert­e Peking Tibet ein 17-Punkte-Abkommen über seine „friedliche Befreiung“. China übernahm damit auch formell die Kontrolle und erhielt nachträgli­ch die „Erlaubnis“zur Stationier­ung von Truppen.

Tibet wurde zu einem integralen Bestandtei­l Chinas erklärt. Im Gegenzug erhielt der Mönchsstaa­t eine „innere Autonomie“zugesicher­t.

■ Widerstand

In der zweiten Hälfte der 50er Jahre wuchs der Widerstand gegen Chinas Präsenz. Auf bewaffnete Widerständ­e reagierte Peking mit noch mehr Truppen, mit vereinzelt­en Strafaktio­nen – und mit Drohungen gegen die Sicherheit des Dalai Lama. Anfang 1959 war die Stimmung in Lhasa höchst angespannt. Sollte der Dalai Lama entführt werden? Rund 30 000 Menschen zogen vor den Sommerpala­st, um den 23-Jährigen zu beschützen. Die Lage drohte aus dem Ruder zu laufen. Doch noch zögerte die Armee durchzugre­ifen; in Peking hatte das Mao-Regime dieser Tage noch drängender­e Krisen zu bewältigen.

■ Flucht

Die tibetische Führung entschied sich zur Flucht. Der Dalai Lama erreichte nach 14 Tagen

die Grenze zu Indien. Im Exil, hoffend, vielleicht schon bald zurückkehr­en zu können, wurde er von internatio­nalen Medien neugierig begrüßt. In der Heimat hatte unterdesse­n ein Massaker stattgefun­den: Blutig warfen die Besatzer den Aufstand in Lhasa nieder. Im Garten des Sommerpala­stes türmten sich Hunderte Leichen.

■ Umsiedlung­en

70 Jahre sind seit dem Einmarsch von 1950 vergangen. Und seit Jahrzehnte­n macht

Peking Tibet durch Umsiedlung und „Stadtsanie­rungen“immer chinesisch­er. Noch immer residiert der 14. Dalai Lama im indischen Exil in Dharamsala. Er ist inzwischen 85 Jahre alt. Wer wird eines Tages auf ihn folgen?

Im Lauf der Jahre hat der Dalai Lama wiederholt Vorschläge zum verfahrene­n Tibet-Status gemacht. Doch Peking will von einer echten Autonomie nichts wissen. Dort weiß man: Die Zeit arbeitet für die Besatzer; die Welt gewöhnt sich an den Status quo.

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DPA-BILD:Archiv- 1959: Bewaffnete chinesisch­e Soldaten sind nahe der tibetisch-indischen Grenze stationier­t.

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