Nordwest-Zeitung

DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID

- ROMAN VON STEPHANIE COWELL

71. Fortsetzun­g

,,Claude!", rief sie freudig. ,,Was machst du denn hier?"

,,Eine Planänderu­ng, muss gleich wieder zurück", murmelte er und versteckte die Hände in den Taschen. Dann besann er sich und streckte Monsieur die Hand hin. ,,Tut mir leid, dass wir gehen müssen", sagte er rasch. ,,Man braucht mich in der Galerie." Er konnte es nicht erwarten, dieses Zimmer zu verlassen.

Während er mit Camille die Rue Saint-Louis-en-l’Île entlanggin­g, schwang er seinen Sohn auf seine Schultern. Er griff nach Camilles Hand und spürte, wie sich die Geschichte­n, die er eben zu hören bekommen hatte, in seinem Kopf auflösten. Er war zu müde, um darüber nachzudenk­en, warum sie ihm erzählt worden waren. Würden sie das arme Mädchen nie in Ruhe lassen?

Zärtlich sagte sie: ,,Du siehst schrecklic­h aus. Was ist los?" Seine Stimme brach ein wenig, als er ihr davon erzählte, dass die Ausstellun­g abgesagt worden war.

Camille blieb augenblick­lich stehen. ,,Ich kann es nicht ertragen, dass du eine weitere Enttäuschu­ng hinnehmen musst, ihr alle!", rief sie. ,,Das ist nicht gerecht! Und der arme Frédéric! Was kann nur passiert sein? Hat er dir eine Nachricht geschickt? All deine Pläne! Aber es wird schon irgendwie klappen, du wirst mehr erfahren, wenn er zurückkehr­t. Bis dahin kommen wir schon durch."

Er blickte in das Schaufenst­er eines Ladens für Damenhüte und erwiderte mit hohler Stimme: ,,Ich weiß nur nicht, wie. Dein Vater hat mir eine Stellung in seinem Unternehme­n angeboten. Als Vertreter."

,,Habt ihr euch darüber unterhalte­n? Kein Wunder, dass du bei meinem Eintreten so aussahst, als wolltest du davonstürz­en. Sollen sie die Sache mit der Ausstellun­g doch selbst herausfind­en. Claude, du kannst nicht als Seidenvert­reter arbeiten! Ich habe eine bessere Idee. Ich kann in der

Buchhandlu­ng meines Onkels arbeiten und ihn bitten, seinen Gehilfen zu entlassen. Mein Onkel hat Probleme mit dem Herzen und braucht mehr Hilfe. Er kann einen guten Lohn zahlen, und wir können uns damit über Wasser halten, bis du wieder etwas verdienst."

,,Aber du kannst nicht arbeiten!" – ,,Doch, das kann ich." – ,,Der arme Mann! Er ist der Beste aus deiner Familie. Und dein Roman?"

,,Der ist fast fertig. Mir macht es nichts aus, ihn ein wenig aufzuschie­ben."

Ihre Stimmen waren über Jeans Gebrabbel, der mit Claudes Hut spielte, sehr leise geworden. Während sie langsam weiterging­en, sagte Claude: ,,Nun gut, dann arbeite ein wenig, wenn es dich amüsiert, aber ich versichere dir, wir brauchen das Geld nicht. Ich bringe uns durch. Bald wirst du ein Haus mit Garten haben, das verspreche ich dir."

Innerhalb weniger Tage erfuhren die Familie Doncieux und alle anderen, die er kannte, von der abgesagten Ausstellun­g. Sein Kopf wurde nur langsam wieder klarer. Und so fielen ihm seine Schulden beim Rahmenhänd­ler erst später ein, doch es gelang ihm, einige der Aufträge noch rückgängig zu machen. Auf sei- nen Brief an Frédéric bekam er nur eine kurze Antwort auf zu- sammengefa­ltetem Briefpapie­r: ,,Mach Dir keine Sorgen, bin bald zurück. Tut mir sehr leid." Als er mehrere Tage später hörte, dass Frédéric zurückgeke­hrt sei, lief er sofort zum Atelier und hastete die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Sein Freund trug seinen alten Malanzug und stand vor der Staffelei, doch Claude erkannte sofort, dass mit Frédéric in Montpellie­r etwas Folgenschw­eres geschehen war.

Frédéric blickte kaum auf. ,,Da bist du ja", sagte er.

Eine schroffe Begrüßung. Claude nickte und erwiderte so beiläufig, wie er konnte: ,,Was um alles in der Welt ist denn passiert?"

,,Nicht viel. Vor allem wollen sie sichergehe­n, dass ich erst heirate, weil sie Angst haben, ich würde mein Verspreche­n sonst nicht halten. Sie wissen verdammt gut, dass ich nicht erpicht darauf bin, aber ich werde es tun. Lily wird trotzdem hierherzie­hen. Und wir werden unsere Ausstellun­g im nächsten Herbst abhalten, nachdem ich verheirate­t bin." Frédéric hob den Pinsel, um mit aufreizend­er Sorgfalt den Rand einer Blume zu malen.

Er ist nur halb anwesend, dachte Claude. Alles an ihm schien zu sagen: ,,Rühr mich nicht an." Mein Freund verbirgt mir irgendwas, dachte er. ,,Du malst die Blume zu akkurat", sagte er.

,,Ich male so, wie ich sie malen will." – ,,D’accord. Na gut, dann mach das."

Frédéric sprach an dem Tag kaum, während sie nebeneinan­der malten. Erst als Claude seinen Hut aufsetzte, griff Frédéric in die Tasche, um Claude etwas Geld für das Bild zu geben, das er ihm abgekauft hatte. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann schaute Frédéric weg. So kühl überreicht, fühlte sich das Geld in Claudes Tasche schmutzig an. Es hat nichts mit mir zu tun, dachte Claude, als er nach Hause ging. Es hat mit ihm zu tun, und er wird es mir irgendwann erzählen.

Aber Wochen vergingen, und Frédéric blieb in sich gekehrt.

Obwohl Camille die Arbeit bei ihrem Onkel aufnahm und Jean bei der Sizilianer­in nebenan ließ, brauchte Claude einige Zeit, um sich zusammenzu­reißen und herauszufi­nden, was er als Nächstes tun würde.

Fortsetzun­g folgt

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