Zerreißprobe für Christdemokraten
Er hatte sich schon fast am Ziel gesehen. Sechs Wochen noch, so die Erwartung von Friedrich Merz, dann hätten ihn die Delegierten des CDU-Bundesparteitags in Stuttgart zum neuen Vorsitzenden gewählt. Nach dem Scheitern gegen Annegret Kramp-Karrenbauer vor zwei Jahren wären es der Erfolg im zweiten Anlauf und eine späte Genugtuung gewesen.
Doch daraus wird jetzt – erst einmal? – nichts. Corona macht den Christdemokraten erneut einen Strich durch die Rechnung. Eine Großveranstaltung mit mehr als Tausend Menschen im Hochrisikogebiet Stuttgart bei sprunghaft steigenden Infektionszahlen – das wäre kaum vermittelbar gewesen. Eine Lex CDU, während die Corona-Beschränkungen weiter verschärft werden und ein Lockdown droht, hätte die Christdemokraten schwer geschädigt und Glaubwürdigkeit gekostet. Erst die Partei, dann das Land – das kommt nicht gut an beim Wahlvolk. Das hat jetzt auch die CDU-Führung erkannt und den Parteitag verschoben.
Nicht jedoch Kandidat Merz, der wütend auf die Absage reagiert, um sich schlägt und sich als Opfer eines Komplotts sieht. Den Christdemokraten droht jetzt erneut eine Zerreißprobe. Das Letzte, wofür in dieser schweren Krise die Bürger und auch wohl die Mitglieder und Anhänger der Christdemokraten Verständnis hätten, wäre eine offene Feldschlacht um Posten und Ämter. Wenn das Kandidatenrennen, das bisher schon nicht besonders begeistern konnte, jetzt noch zu einem scheppernden Schlagabtausch gerät, werden sich viele entsetzt abwenden, und es schlägt womöglich die Stunde von alternativen Kandidaten, sei es für den Parteivorsitz oder die Kanzlerkandidatur.