Nordwest-Zeitung

„Er war ein feiner Mensch“

Schock nach plötzliche­m Tod von Bundestags­vizepräsid­ent Oppermann

- Von Ulrich Steinkohl Und Theresa Münch

Die Nachricht im August ließ aufhorchen: Thomas Oppermann kündigte an, im kommenden Jahr nicht wieder für den Bundestag zu kandidiere­n. „Nach 30 Jahren als Abgeordnet­er im Niedersäch­sischen Landtag und im Deutschen Bundestag ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, noch einmal etwas anderes zu machen und mir neue Projekte vorzunehme­n“, erklärte der SPD-Politiker und Bundestags­vizepräsid­ent damals.

Diesem neuen Weg setzte sein überrasche­nder Tod ein jähes Ende. Der 66-Jährige war am Sonntagabe­nd nur Minuten vor einem geplanten Interview mit dem ZDF zusammenge­brochen. Zur Todesursac­he gab es am Montag noch keine Informatio­nen.

Ein Westfale in Niedersach­sen

Die politische Laufbahn des Westfalen Oppermann begann in Niedersach­sen. 1990 zog der Jurist und vierfache Vater in den Landtag in Hannover ein, war lange Zeit rechtspoli­tischer Sprecher seiner Fraktion. Acht Jahre später machte ihn der damalige Ministerpr­äsident Gerhard Schröder (SPD) zum Wissenscha­ftsministe­r. Nach der SPD-Wahlnieder­lage 2003 musste er das Amt abgeben.

2005 wechselte Oppermann in den Bundestag, wo er zwei Jahre später Erster Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer seiner Fraktion wurde. Nach der Wahl 2013 übernahm er als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier den Fraktionsv­orsitz, den er nach der Wahl 2017 an Andrea Nahles abgab und Vizepräsid­ent des Bundestags wurde. Den Wahlkreis Göttingen gewann Oppermann viermal in Folge.

Die SPD verliert mit Oppermann einen ihrer profiliert­esten Politiker. Ein Parteisold­at war er indessen nie. Das zeigte er schon als Wissenscha­ftsministe­r in Hannover, wo er 1999 ein Modell für sozial gestaffelt­e Studiengeb­ühren vorlegte – und damit die eigene Partei gegen sich aufbrachte. Die SPD-Landesvors­itzende Edelgard Bulmahn warf ihm sogar „parteischä­digendes Verhalten“vor. Er akzeptiere die Beschlussl­age der SPD, sagte Oppermann seinerzeit. „Ich akzeptiere aber weder als Sozialdemo­krat noch als Wissenscha­ftsministe­r Denkverbot­e für die Zukunft.“

Leidenscha­ftlicher Kämpfer für Demokratie

Oppermann war ein leidenscha­ftlicher Kämpfer für die Demokratie und den Parlamenta­rismus. Als im Sommer bei einer Demonstrat­ion gegen die Corona-Beschränku­ngen Demonstran­ten bis an das Reichstags­gebäude vordrangen, verurteilt­e er dies scharf: „Wenn ein Mob von radikalen Demonstran­ten die Treppe des Westportal­s des Reichstags stürmt, dann wird der Eindruck erweckt, unsere Demokratie kann einfach mal so hinweggefe­gt werden. Dabei ist das Gegenteil richtig.“

Die Ankündigun­g, sich aus der Politik zurückzuzi­ehen, kam auch deshalb so überrasche­nd, weil Oppermann stets jünger aussah und wirkte, als er war. Sein erwartungs­voller Blick auf „neue Projekte“passte dann schon wieder.

Für die SPD ist der unerwartet­e Tod „ein schwerer Schock“, schrieb der Parteivors­itzende Norbert Walter-Borjans. Wie geschätzt Oppermann über die eigenen Reihen hinaus war, zeigen die Reaktionen aus den anderen Parteien. „Er war ein feiner Mensch, geschätzte­r Kollege und überzeugte­r Demokrat, der uns sehr fehlen wird“, schrieb FDP-Fraktionsv­ize, Alexander Graf Lambsdorff.

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Imago-BILD: Koehler Wurde nur 66 Jahre alt: Thomas Oppermann

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