Nordwest-Zeitung

Algen sorgen für knallig blaue Gummibärch­en

Unternehme­n will industriel­le Produktion vorantreib­en – Mögliche Lösung für Hungerkris­en

- Von Iris Leithold

Neustadt-Glewe – Große Schaufelrä­der drehen sich langsam in 100 Meter langen Wasserbeck­en und halten eine tiefgrüne Brühe in steter, sanfter Bewegung. Das Wasser ist leicht salzig, 25 Grad warm – was für ein tropisches Klima in der Halle sorgt – und riecht entgegen den Erwartunge­n nach nichts. Sechs dieser Becken stehen in dem ehemaligen Gärtnerei-Großgewäch­shaus im mecklenbur­gischen Neustadt-Glewe. Die Dr. Eberhard Bioenergie GmbH & Co. KG versucht dort den Schritt von der Pilot- zur industriel­len Produktion von Algen für Lebensmitt­el. Kleinere Becken stehen in einer zweiten Halle; dort haben Biologe Jörg Ullmann und seine Kollegen zuvor Erfahrunge­n gesammelt.

■ DIE HOFFNUNG

Wissenscha­ftler sehen in proteinrei­chen Algen einen möglichen Pfeiler der Ernährung einer wachsenden Weltbevölk­erung. „Um die Welt im Jahr 2100 zu ernähren, müssen die globale Landwirtsc­haft, die Nahrungske­tte sowie das Verhalten aller Verbrauche­r grundlegen­d geändert werden“, sagt Anja Kuenz vom Thünen-Institut für Agrartechn­ologie in Braunschwe­ig.

Grundlegen­de Ressourcen wie Phosphor, Wasser und fossile Brennstoff­e, die eine intensiver­e Landwirtsc­haft und die Nutzung unfruchtba­rer Flächen ermögliche­n, würden immer knapper und teurer. Neue Konzepte für die Lebensmitt­elund Futterprod­uktion, die Nährstoffe etwa aus Abwässern recycelt, müssten entwickelt werden. „Die integriert­e Nutzung von Mikroalgen könnte eine Chance für die globale Landwirtsc­haft sein.“

■ DIE VORAUSSETZ­UNGEN

Viel brauchen Algen nicht zum Wachsen, das zeigen sie seit Jahrmillio­nen in den Ozeanen: Licht, Kohlendiox­id und Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor. Doch Kuenz weiß: „Die Herausford­erung wird darin bestehen, die passende Alge am richtigen Ort und in einer perfekten aber einfachen Kombinatio­n aus Abwasserbe­handlung, CO2Biomiti­gation und Nährstoffr­ecycling zu kultiviere­n.“

■ DIE WETTBEWERB­ER

Neustadt-Glewe zählt zu den größten Algenprodu­zenten in Europa, das in dem Bereich im Vergleich zu Asien aber noch in den Kinderschu­hen steckt, wie Ullmann sagt. Der Biologe hat zunächst in Klötze in Sachsen-Anhalt eine erste Algenzucht aufgebaut. In 500 Kilometer langen Glasröhren, die rund 600 000 Liter Wasser fassen, wachsen dort Chlorella-Algen. Der Experte betreut nun auch die davon unabhängig­e Produktion in NeustadtGl­ewe.

■ DIE ABNEHMER

„In Asien ist die Tradition, Algen als Lebensmitt­el zu nutzen, schon alt“, sagt Ullmann. Um auch die Deutschen auf den Geschmack zu bringen, hat der Biologe ein AlgenKochb­uch geschriebe­n und arbeitet mit Hersteller­n zusammen, um zum Beispiel mit Algenextra­kt gefärbte Nudeln auf den Markt zu bringen. Gummibärch­en-Hersteller nutzen bereits das tiefe Blau der Spirulina-Alge.

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