Groningen-Reise eine Geduldsprobe
Groningen und Oldenburg arbeiten, auch in Sachen Wissenschaft, eng zusammen. Zum Glück, denn dabei entsteht viel Gutes, etwa die „European Medical School“, ohne die Oldenburg kein Standort für ein Medizinstudium sein könnte. Und weil die Zusammenarbeit so gut klappt, ist man als Wissenschaftler öfter mal in Richtung Groningen unterwegs, vor Corona-Zeiten natürlich mehr noch als jetzt. Wer dazu wie der Verfasser dieser Kolumne auf den öffentlichen Verkehr angewiesen ist, dem allerdings wird eine Geduldsprobe abverlangt. Und es sind nicht Stellwerkschäden und Personen im Gleis, die die 100 Kilometer zur Weltreise machen, sondern eine Emsbrücke, die 2015 ein Schiffsunfall zerlegt hat, den bizarr zu nennen eine Untertreibung wäre.
Seit fünf Jahren plant das Eisenbahnbundesamt nun mit dem Land Niedersachsen den Neubau, der – wenn alles gutgeht – 2024 fertig sein soll – und, wie man jetzt hört, womöglich noch viel später fertig sein wird. Für den geplagten Groningen-Reisenden wäre also die gute Nachricht, dass die Talsohle durchschritten und das Ende der Durststrecke absehbar ist. Einstweilen dauert die Reise mehr als zweieinhalb Stunden, vorausgesetzt, man schafft die Anschlüsse. Zweimal muss man umsteigen, in Leer und in Weener.
Das ist für eine Grenzregion, die sich brüstet, Modell für Europa zu sein, ein unhaltbarer Zustand. An den Niederländern
liegt es nicht. Interessant zu wissen wäre, wie die Übermorgenstadt Oldenburg und hiesigen Hochschulleitungen ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um der Malaise abzuhelfen.
Doch Reisen bildet, und selbstverständlich hat auch eine Reise in die deutsche Provinz ihr Gutes. Dahin, wo sich kaum etwas verändert zu haben scheint. Sicher, die Windräder ragten früher nicht über dem tellerflachen Rheiderland in die Höhe, und der Leerstand in der Hauptstraße von Weener, durch die der Bus kurvt, dürfte auch neueren Datums sein. Sonst aber ist hier die Welt noch in Ordnung: Die Dörfer sind sauber, die Höfe aufgeräumt, die Häuser proper. Keine Spur von Wohlstandsverwahrlosung. Selbst Volksparteien prosperieren noch.
Wenigstens die eine: Bei der letzten Kommunalwahl holte die SPD in Weener sage und schreibe 51,8 Prozent. Dabei ist das Land so wohlhabend und dünn besiedelt wie das benachbarte Emsland, wo die andere Volkspartei ebensolche Traumergebnisse einfährt. Die Gründe sind historisch: das Emsland ist ein katholisches, das Rheiderland ein protestantisches Musterländle im Nordwesten.
Aber die Geschichte erklärt nicht alles: Die Volksparteien werden hier auch für eine Politik dicht an den Menschen belohnt und dafür, dass sie mit kluger Strukturpolitik aus Armenhäusern Wohlstandsoasen gemacht haben. Also doch: eine Region, die Vorbild sein kann für Europa. Nur beim Brückenbau sollten sie sich sputen.