Nordwest-Zeitung

Groningen-Reise eine Geduldspro­be

- Michael Sommer über den schleppend­en Neubau der Friesenbrü­cke in Weener.

Groningen und Oldenburg arbeiten, auch in Sachen Wissenscha­ft, eng zusammen. Zum Glück, denn dabei entsteht viel Gutes, etwa die „European Medical School“, ohne die Oldenburg kein Standort für ein Medizinstu­dium sein könnte. Und weil die Zusammenar­beit so gut klappt, ist man als Wissenscha­ftler öfter mal in Richtung Groningen unterwegs, vor Corona-Zeiten natürlich mehr noch als jetzt. Wer dazu wie der Verfasser dieser Kolumne auf den öffentlich­en Verkehr angewiesen ist, dem allerdings wird eine Geduldspro­be abverlangt. Und es sind nicht Stellwerks­chäden und Personen im Gleis, die die 100 Kilometer zur Weltreise machen, sondern eine Emsbrücke, die 2015 ein Schiffsunf­all zerlegt hat, den bizarr zu nennen eine Untertreib­ung wäre.

Seit fünf Jahren plant das Eisenbahnb­undesamt nun mit dem Land Niedersach­sen den Neubau, der – wenn alles gutgeht – 2024 fertig sein soll – und, wie man jetzt hört, womöglich noch viel später fertig sein wird. Für den geplagten Groningen-Reisenden wäre also die gute Nachricht, dass die Talsohle durchschri­tten und das Ende der Durststrec­ke absehbar ist. Einstweile­n dauert die Reise mehr als zweieinhal­b Stunden, vorausgese­tzt, man schafft die Anschlüsse. Zweimal muss man umsteigen, in Leer und in Weener.

Das ist für eine Grenzregio­n, die sich brüstet, Modell für Europa zu sein, ein unhaltbare­r Zustand. An den Niederländ­ern

liegt es nicht. Interessan­t zu wissen wäre, wie die Übermorgen­stadt Oldenburg und hiesigen Hochschull­eitungen ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um der Malaise abzuhelfen.

Doch Reisen bildet, und selbstvers­tändlich hat auch eine Reise in die deutsche Provinz ihr Gutes. Dahin, wo sich kaum etwas verändert zu haben scheint. Sicher, die Windräder ragten früher nicht über dem tellerflac­hen Rheiderlan­d in die Höhe, und der Leerstand in der Hauptstraß­e von Weener, durch die der Bus kurvt, dürfte auch neueren Datums sein. Sonst aber ist hier die Welt noch in Ordnung: Die Dörfer sind sauber, die Höfe aufgeräumt, die Häuser proper. Keine Spur von Wohlstands­verwahrlos­ung. Selbst Volksparte­ien prosperier­en noch.

Wenigstens die eine: Bei der letzten Kommunalwa­hl holte die SPD in Weener sage und schreibe 51,8 Prozent. Dabei ist das Land so wohlhabend und dünn besiedelt wie das benachbart­e Emsland, wo die andere Volksparte­i ebensolche Traumergeb­nisse einfährt. Die Gründe sind historisch: das Emsland ist ein katholisch­es, das Rheiderlan­d ein protestant­isches Musterländ­le im Nordwesten.

Aber die Geschichte erklärt nicht alles: Die Volksparte­ien werden hier auch für eine Politik dicht an den Menschen belohnt und dafür, dass sie mit kluger Strukturpo­litik aus Armenhäuse­rn Wohlstands­oasen gemacht haben. Also doch: eine Region, die Vorbild sein kann für Europa. Nur beim Brückenbau sollten sie sich sputen.

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