Nordwest-Zeitung

Der deutsche „Flickentep­pich“

Klage über den deutschen Föderalism­us ist schon sehr alt

- Von Christoph Driess

Münster – Derzeit wird wieder viel über den deutschen „Flickentep­pich“geklagt. Die starke Eigenständ­igkeit der 16 Bundesländ­er führe in der Corona-Pandemie zu einem undurchdri­nglichen Wust von Regeln, heißt es. Eine Abstimmung werde durch die deutsche „Kleinstaat­erei“verhindert oder zumindest erschwert.

Die Klage über den deutschen Föderalism­us ist sehr alt. „Die Abweichung­en dieses Landes sind so groß, dass man nicht weiß, wie man so verschiede­ne Religionen, Regierungs­formen, Klimata, ja Völker unter einen und denselben Gesichtspu­nkt bringen soll“, schrieb 1813 die französisc­he Schriftste­llerin Germaine de Staël in ihrem Bestseller „De l’Allemagne“(Über Deutschlan­d). In diesem Land fehle es an einem echten Machtzentr­um.

Noch nicht einmal auf einen einheitlic­hen Fluch könnten sich die Deutschen einigen, bemerkte der Publizist Carl Julius Weber (17671832): In Schwaben sei es „Potzblitz“, in Bayern „Sauschwanz“und in Preußen „Gott straf mir“.

Viele werden sich noch an eine Karte erinnern, die in so ziemlich jedem Schulgesch­ichtsbuch steht: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als vielfarbig­es Sammelsuri­um von Königreich­en,

Herzogtüme­rn, Grafschaft­en und irrwitzige­n Mini-Territorie­n im Stil von Lummerland, regiert von König Alfons dem Viertelvor­zwölften. Ein „Flickentep­pich“eben.

Der Historiker Jürgen Overhoff hat dazu geforscht und sieht die Dinge etwas anders. „Diese Karten gibt es erst seit dem 19. Jahrhunder­t“, hat der Münsterane­r Professor herausgefu­nden. „Es gab zum Beispiel ein wichtiges Schulbuch aus dem Jahr 1774, und das zeigt einfach „Deutschlan­d“mit seinen Außengrenz­en. Fertig.“Das Reich sei von den Zeitgenoss­en als vollwertig­er Staat betrachtet worden, nicht als kleinteili­g-defizitär.

Das soll nicht heißen, dass die vielen Einzelstaa­ten mit eigenen Souveränit­ätsrechten nicht existiert hätten. Aber sie waren eben doch miteinande­r verbunden, sie kooperiert­en auf dem Reichstag in Regensburg. „Dort hat man vereinfach­t gesagt eine Mischung aus Bundestag und Bundesrat gehabt. Da haben sich die deutschen Länder getroffen und Absprachen gemacht“, erläutert Overhoff.

Der französisc­he Aufklärer Charles de Montesquie­u beschrieb dieses Gebilde 1748 anerkennen­d als „République fédérative d’Allemagne“, die föderative Republik Deutschlan­d. Ihn beeindruck­te vor allem die so erzielte Aufteilung der Macht: In Frankreich hingegen besaß der König die absolute Herrschaft­sgewalt.

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