Der deutsche „Flickenteppich“
Klage über den deutschen Föderalismus ist schon sehr alt
Münster – Derzeit wird wieder viel über den deutschen „Flickenteppich“geklagt. Die starke Eigenständigkeit der 16 Bundesländer führe in der Corona-Pandemie zu einem undurchdringlichen Wust von Regeln, heißt es. Eine Abstimmung werde durch die deutsche „Kleinstaaterei“verhindert oder zumindest erschwert.
Die Klage über den deutschen Föderalismus ist sehr alt. „Die Abweichungen dieses Landes sind so groß, dass man nicht weiß, wie man so verschiedene Religionen, Regierungsformen, Klimata, ja Völker unter einen und denselben Gesichtspunkt bringen soll“, schrieb 1813 die französische Schriftstellerin Germaine de Staël in ihrem Bestseller „De l’Allemagne“(Über Deutschland). In diesem Land fehle es an einem echten Machtzentrum.
Noch nicht einmal auf einen einheitlichen Fluch könnten sich die Deutschen einigen, bemerkte der Publizist Carl Julius Weber (17671832): In Schwaben sei es „Potzblitz“, in Bayern „Sauschwanz“und in Preußen „Gott straf mir“.
Viele werden sich noch an eine Karte erinnern, die in so ziemlich jedem Schulgeschichtsbuch steht: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als vielfarbiges Sammelsurium von Königreichen,
Herzogtümern, Grafschaften und irrwitzigen Mini-Territorien im Stil von Lummerland, regiert von König Alfons dem Viertelvorzwölften. Ein „Flickenteppich“eben.
Der Historiker Jürgen Overhoff hat dazu geforscht und sieht die Dinge etwas anders. „Diese Karten gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert“, hat der Münsteraner Professor herausgefunden. „Es gab zum Beispiel ein wichtiges Schulbuch aus dem Jahr 1774, und das zeigt einfach „Deutschland“mit seinen Außengrenzen. Fertig.“Das Reich sei von den Zeitgenossen als vollwertiger Staat betrachtet worden, nicht als kleinteilig-defizitär.
Das soll nicht heißen, dass die vielen Einzelstaaten mit eigenen Souveränitätsrechten nicht existiert hätten. Aber sie waren eben doch miteinander verbunden, sie kooperierten auf dem Reichstag in Regensburg. „Dort hat man vereinfacht gesagt eine Mischung aus Bundestag und Bundesrat gehabt. Da haben sich die deutschen Länder getroffen und Absprachen gemacht“, erläutert Overhoff.
Der französische Aufklärer Charles de Montesquieu beschrieb dieses Gebilde 1748 anerkennend als „République fédérative d’Allemagne“, die föderative Republik Deutschland. Ihn beeindruckte vor allem die so erzielte Aufteilung der Macht: In Frankreich hingegen besaß der König die absolute Herrschaftsgewalt.