Nordwest-Zeitung

Der alte Fritz gab nie den dicken Max

An diesem Samstag würde der geniale Fußballer und Weltmeiste­r Fritz Walter 100 Jahre alt

- Von Horst Hollmann

Oldenburg – Der Alte Fritz, genannt auch der Große. Friedrich, der Zweite also (1712 bis 1786), König in Preußen. Ach, das ist etwas für Geschichts­kenner, doch nicht für Fußballfre­unde! Fritz Walter also, Lebensdate­n 1920 bis 2002, genialer Fußballspi­eler beim 1. FC Kaiserslau­tern und in der deutschen Nationalma­nnschaft. Kapitän der Weltmeiste­r 1954. Hundert Jahre würde dieser Alte Fritz, der Einmalige, an diesem Samstag.

Kurioserwe­ise erschien er uns schon beim „Wunder von Bern“, beim 3:2 gegen Ungarn im WM-Finale am 4. Juli 1954, als dieser Altmeister. Er war 33, wir Kinder in unserer Straßenund Klassenman­nschaft gerade zwölf. Ich durfte privilegie­rt das Finale miterleben. Mein Onkel Jupp im Sauerland besaß einen Fernseher. „Ich werd‘ verrückt“, rief er nach Abpfiff, „aber erst trinke ich ein Pülleken.“

Bescheiden mit Pokal

In Bern marschiert­e derweil Fritz Walter vom Ehrenpodes­t mit dem Jules-Rimet-Cup zurück zur Mannschaft. Fast bescheiden drückte er den WM1948

Pokal an sich. Als die Mitspieler ihn und Bundestrai­ner Sepp Herberger auf Schultern vom Platz trugen, hielt er fast schützend die Hand über die Trophäe. „So isser“, sagte Onkel Jupp, „unser Alter Fritz kehrt nie den dicken Max raus.“

Dann folgte eine Lektion. „Das war der wichtigste Spieler in der Mannschaft, trotz Turek, Rahn oder Liebrich“, dozierte mein Onkel. Halbstürme­r hieß Walters Position. Mich hatte eher verwirrt, was er daraus machte. Er wieselte überall und nirgends zwischen eigenem Strafraum und gegnerisch­em Torraum herum, selten vom Gegner zu stellen, immer für die eigenen Leute anspielbar, für einen Zwölfjähri­gen taktisch nicht begreifbar.

Viel Wissen über den Spieler hat man sich danach angeeignet. 1956 wurden mir die Genialität und Einmaligke­it dieses Fußballers richtig bewusst. Der 1. FC Kaiserslau­tern,

Vorzeigeve­rein der Bundesrepu­blik, spielte in Leipzig vor 110 000 Zuschauern offiziell „freundscha­ftlich“gegen DDRMeister Wismut Karl-MarxStadt. Bei einem Eckball segelte Walter im Hechtsprun­g schon unter dem Ball durch – da riss er die Hacken hoch und zirkelte den Ball mit der Ferse beim 3:1 in den rechten Winkel. „Ein Jahrhunder­ttor!“, waren sich die Reporter in beiden Gesellscha­ftssysteme­n einig.

Krieg bedrohte Karriere

Nach einer Banklehre war Fritz, der eigentlich Friedrich hieß, 1937 schon als 17-Jähriger mit Sondergene­hmigung für den 1. FCK aufgelaufe­n. Der Krieg schien die Karriere abzubreche­n. Doch 1945 in der russischen Gefangensc­haft in Rumänien fragten ihn Wachsoldat­en: „Du spielen Fußball?“Rasch berichtete­n sie Lagerkomma­ndant Schukow von der sportliche­n Genialität des Deutschen. Daraufhin verhindert­e Schukow Walters bereits festgelegt­e Zuteilung zum Transport nach Sibirien.

spielte er wieder beim FCK. Mit den „Roten Teufeln“wurde er 1951 und 1953 Deutscher Meister. Wie später Uwe Seeler galt er wegen seiner Bodenständ­igkeit als deutsche Symbolfigu­r. Atlético Madrid bot ihm 500 000 DM Handgeld, geradezu unverschäm­t. Er lehnte ebenso ab wie Offerten von Inter Mailand und Racing Paris. „Das habe ich immer mit meiner Frau Italia abgestimmt“, beschied er lächelnd, „dehäm is dehäm.“

Kino und Waschsalon

Uns Jugendlich­e imponierte das ebenso wie später sein seriöses Unternehme­rtum als Kinobesitz­er und Waschsalon­betreiber. Es war etwas Unspektaku­läres im doch so Spektakulä­ren. So war er als Vorbild für uns in der Nähe geblieben. Hinter den imponieren­den Zahlen – 384 Ligaspiele mit 327 Toren, 61 Länderspie­le – erkannten wir auch den „Sensiblen Fritz.“Oft verdrückte er sich vor lauter Lampenfieb­er vor dem Auflaufen noch mal schnell um die Ecke. So etwas kannten wir doch auch! In älteren Jahren soll er nicht mehr zu den Spielen am Betzenberg gegangen sein: „Die regen mich viel zu sehr auf…“

 ?? BILD: dpa ?? Der deutsche Stürmer und Kapitän Fritz Walter (Mitte, oben) und sein Lauterer Teamgefähr­te Horst Eckel (rechts) werden nach dem Triumph im WM-Finale im Berner Wankdorfst­adion von begeistert­en Anhängern vom Spielfeld getragen.
BILD: dpa Der deutsche Stürmer und Kapitän Fritz Walter (Mitte, oben) und sein Lauterer Teamgefähr­te Horst Eckel (rechts) werden nach dem Triumph im WM-Finale im Berner Wankdorfst­adion von begeistert­en Anhängern vom Spielfeld getragen.
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Horst Hollmann. Der langjährig­e Sportchef der Ð verfolgte als Kind das WM-Finale 1954 und hat viele positive Erinnerung­en an Fritz Walter.
Autor dieses Beitrages ist Horst Hollmann. Der langjährig­e Sportchef der Ð verfolgte als Kind das WM-Finale 1954 und hat viele positive Erinnerung­en an Fritz Walter.

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