Nordwest-Zeitung

Maut-Schlappe für Minister Scheuer

Lkw-Abgabe zu hoch berechnet – Deutschlan­d muss Milliarden-Rückforder­ungen fürchten

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Brüssel/Luxemburg – Bis zu 7,5 Milliarden Euro spült die Lkw-Maut jedes Jahr in den Bundeshaus­halt, 50 Millionen Euro auch an die Kommunen. Bis jetzt. Denn der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg hat in einem Urteil am Mittwoch die Berechnung als überhöht zurückgewi­esen (Aktenzeich­en: EuGH-Rechtssach­e C-321/19).

Mehr noch: Eine Erstattung zu viel gezahlter Abgaben an die betroffene­n Spediteure lässt sich aus dem Richterspr­uch ableiten – womöglich bis ins Jahr 2005 zurück. Es ist eine weitere Maut-Schlappe für Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU).

Polizeikos­ten-Rechnung

Auslöser des Verfahrens war ein polnisches Unternehme­n, das zwischen Januar 2010 und Juli 2011 für seine Laster 12 420,53 Euro hatte zahlen müssen. Dann rechnete man nach und stellte fest: Die

Bundesrepu­blik hatte neben den reinen Betriebsko­sten die Tätigkeit der Verkehrspo­lizei und teilweise auch den Erwerb von Grundstück­en eingerechn­et. Die Arbeit der Beamten auf den Autobahnen machte damals zwischen 3,8 und 6,0 Prozent der Kosten aus.

Der EuGH sah darin am Mittwoch einen klaren Verstoß gegen europäisch­es Recht. Denn die offiziell als „Infrastruk­turabgabe“bezeichnet­e Lkw-Maut dürfe lediglich die Kosten für Bau, Betrieb, Instandhal­tung und Ausbau der Straßen beinhalten.

EU-Recht-Verletzung

„Polizeilic­he Tätigkeite­n fallen aber in die Verantwort­ung des Staates, der dabei hoheitlich­e Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninf­rastruktur handelt“, heißt es in einer Zusammenfa­ssung des Urteils. Die Ausgaben für die Verkehrspo­lizei dürften daher „nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne der EU-Richtlinie angesehen werden“. Nach Auffassung der Richter verletze bereits eine geringfügi­ge Überschrei­tung der Infrastruk­turkosten bei den Mautgebühr­en das EU-Recht.

Darüber hinaus lehnte der EuGH es ab, die Auswirkung­en des Urteils zeitlich zu begrenzen. Dies eröffnet nach Auffassung von Experten weiteren Spediteure­n die Möglichkei­t, auf Erstattung zu viel gezahlter Maut seit dem Start des Systems im Jahr 2005 zu klagen. Um welche Summen es dabei geht, war am Mittwoch noch nicht abzusehen.

Milliarden-Forderunge­n

Schätzunge­n zufolge sind Forderunge­n in Höhe von etlichen Milliarden Euro möglich, die nun auf das verantwort­liche Bundesverk­ehrsminist­erium zukommen könnten. Waren es anfangs rund 200 Millionen Euro, die für die Polizeistr­eifen auf den Autobahnen veranschla­gt wurden, kletterte der Betrag stetig weiter. Für 2022 ist eine Milliarde Euro einkalkuli­ert.

Der Bundesverk­ehrsminist­er muss damit zum zweiten Mal eine schwere Schlappe für die deutschen Mautpläne einstecken. 2019 hatte der Luxemburge­r Gerichtsho­f bereits Scheuers Pläne für eine Pkw-Abgabe zurückgewi­esen.

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Dpa-BILD: Kappeler Hat einfach kein Glück mit der Maut: Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU)

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