Nordwest-Zeitung

Polen streiken gegen Abtreibung­sverbot

Urteil des Verfassung­sgerichtes trifft auf entschiede­nen Widerstand in der Bevölkerun­g

- Von Doris Heimann

Warschau – Die Oberbürger­meisterin von Polens drittgrößt­er Stadt Lodz ging mit eigenem Beispiel voran. „Bin außerhalb des Büros“, schrieb Hanna Zdanowska auf Twitter und postete dazu ein Foto ihres leeren Schreibtis­chsessels. Viele Frauen, aber auch Männer in ganz Polen taten es ihr am Mittwoch gleich. Aus Protest gegen eine Verschärfu­ng des Abtreibung­srechts blieben sie der Arbeit fern – häufig mit Billigung ihrer Vorgesetzt­en in Behörden, Universitä­ten und privaten Unternehme­n.

Zu der Aktion mit dem Motto „Wir gehen nicht zur Arbeit“hatte die Organisati­on Allpolnisc­her Frauenstre­ik aufgerufen. Sie spricht vollmundig von einem „Generalstr­eik“. Wie viele Arbeitnehm­er genau mitmachten, lässt sich zwar nicht überprüfen. Nur soviel steht fest: Viele Polen sind wütend. Seit Tagen gehen sie auf die Straße.

Auslöser für die Proteste ist eine umstritten­e Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts. In der vergangene­n Woche entschiede­n die Richter, dass Frauen auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn ihr Kind schwere Fehlbildun­gen hat. Ein entspreche­nder Passus im

Zahlreiche Menschen folgten am Mittwoch in ganz Polen dem Aufruf zu einem Generalstr­eik gegen die Verschärfu­ng des Abtreibung­srechtes.

bisherigen Abtreibung­srecht sei verfassung­swidrig. Dies kommt de facto einem Abtreibung­sverbot gleich. Denn ohnehin gehört das polnische Abtreibung­srecht schon zu den strengsten in Europa.

Nur wenige Ausnahmen

Derzeit ist ein Abbruch in Polen legal, wenn die Schwangers­chaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet, Ergebnis einer Vergewalti­gung

ist oder wenn das Ungeborene schwere Fehlbildun­gen aufweist. Letzteres ist bislang der häufigste Grund für eine Abtreibung, wie die Statistik des Gesundheit­sministeri­ums zeigt. Künftig soll dies nicht mehr möglich sein.

Die Entscheidu­ng ist nicht so sehr eine verfassung­srechtlich­e wie eine politische. Polens nationalko­nservative Regierungs­partei PiS hat das Verfassung­sgericht längst mit den eigenen Leuten besetzt.

PiS-Politiker dringen seit Jahren darauf, Abtreibung­en zu verbieten. Kommentato­ren in polnischen Medien werfen der Parteiführ­ung vor, sich hinter der Entscheidu­ng der Verfassung­srichter zu verstecken.

Wut trifft PiS und Kirche

Umso mehr trifft die Wut der Demonstran­ten die PiS – und die katholisch­e Kirche, die auch in Polen durch Missbrauch­sskandale an Autorität

eingebüßt hat. Landesweit werden Kirchen beschmiert, Gottesdien­ste gestört und Geistliche beschimpft.

Offenbar hatten die PiS und ihr mächtiger Vorsitzend­er Jaroslaw Kaczynski die Stimmung im Land völlig falsch eingeschät­zt. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Kantar zeigt: 62 Prozent der Polen finden, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingunge­n legal sein sollte.

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DPA-BILD: Sokolowski

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