Nordwest-Zeitung

Unnahbar und führungssc­hwach

Warum die Kritik an EU-Kommission­spräsident­in von der Leyen wächst

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Eine stets etwas naiv klingende Ursula von der Leyen ruft bei der brummelig wirkenden Kanzlerin Angela Merkel an und fragt um Rat – mit der Satire-Serie „Europa-Ursula“landeten die Stimmen-Imitatoren der ARD-Hörfunksen­der einen echten Hit. Allzu weit weg von der Realität sind die Hörspiel-Podcasts nicht. Die einstige Verteidigu­ngsministe­rin hat – kaum ein Jahr im Amt – ihren Kredit bei den deutschen Unionsfreu­nden gleich mehrfach verspielt.

Erst vor wenigen Tagen zog der CDU-Europaabge­ordnete Dennis Radtke aus Bochum eine fast schon vernichten­de Bilanz der Arbeit seiner Parteifreu­ndin. Von der Leyen werde ihrem Führungsan­spruch nicht gerecht, hieß es in einem Gastbeitra­g für „Die Welt“. In großen politische­n Fragen wie dem Green Deal brauche die EU „weniger pathetisch­e und wolkige Beschreibu­ngen des Problems und mehr beherztes Zupacken“. Auch nach Monaten im Amt habe sich der Führungsst­il der 62-Jährigen nicht geändert: „Markige und/oder pathetisch­e Überschrif­ten nach außen, fehlende Kommunikat­ion und Misstrauen nach innen“, bilanziert­e Radtke weiter. Er steht nicht allein.

Die Unzufriede­nheit mit der Arbeit der Europäisch­en Kommission wächst täglich. Von der Leyen wurde längst als Ursache ausgemacht. Selbst erfahrene Spitzenver­treter der Behörde werfen der CDU-Politikeri­n vor, die Kommission strukturlo­s zu führen und die Kontrolle über sie verloren zu haben.

Besonders eklatant fällt die Kritik aus dem Europäisch­en Parlament aus. Nicht nur Sozialdemo­kraten, Liberale und Grüne, sondern auch Politiker der Unionspart­eien beklagen etwa, dass die Niedersäch­sin sich zwar bei ihrer Bewerbungs­rede dafür starkgemac­ht habe, dem Abgeordnet­enhaus ein Initiativr­echt zu verschaffe­n. Davon sei jedoch nicht nur nichts zu erkennen, die Präsidenti­n falle den Volksvertr­etern gar in den Rücken. Als Beispiel wird von der Leyens Verhalten beim EU-Gipfel über den Haushaltsr­ahmen bis 2027 genannt. Entgegen der Forderunge­n des Parlamente­s habe sie einen Gipfelbesc­hluss nicht nur mitgetrage­n, sondern sogar gefeiert, der weit vom Vorschlag der Abgeordnet­en entfernt war.

Tatsächlic­h knirscht es im Gebälk des europäisch­en Hauses mitunter heftig. Ohrenzeuge­n zufolge stritten sich die Kommission­schefin und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel drei Tage, wer mit dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson telefonier­en dürfe, als es darum ging, die festgefahr­enen Gespräche über einen Handelsver­trag wieder in Gang zu bringen. Am Ende sprach man zu dritt.

Sicher, es gibt kaum einen Chef der Europäisch­en Kommission, der für sein erstes Amtsjahr Bestnoten bekam – noch dazu angesichts einer Krise, wie es sie bisher noch nicht gab. „Aber gerade dann braucht die Union doch Führungskr­aft“, sagte ein Diplomat. Er empfahl, die Kommission­spräsident­in solle „öfter mal rausgehen“. Von der Leyen gilt als unnahbar, was im Vergleich zu ihrem häufig kumpelhaft­en Vorgänger JeanClaude Juncker besonders spürbar auffällt.

 ?? ZEICHNUNG: Harm BEngen ??
ZEICHNUNG: Harm BEngen
 ?? Dpa-BILD: Hoslet ?? Steht in der Kritik: Ursula von der Leyen
Dpa-BILD: Hoslet Steht in der Kritik: Ursula von der Leyen

Newspapers in German

Newspapers from Germany