Von der Stunde des Maultiertreibers Ramiro
Opern-Einakter „L’heure espagnole – die spanische Stunde“von Ravel im Staatstheater
Oldenburg – Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. So heißt es zeitlos. Donna Conceptión ist das zu abstrakt. Also schafft sie sich selbst ihre glückliche Stunde, immer donnerstags. Dann verlässt Don Torquemada Uhrenladen und Haus, um binnen einer Stunde die Rathausuhr von Toledo auf Vordermann zu bringen. In dieser Zeit pflegt die Dame dann einen ordentlichen Männerverschleiß.
Prächtiges Versteckspiel
Nun wäre die BoulevardKomödie von 1900 längst vergessen, hätte Maurice Ravel sie nicht zur Vorlage seiner einaktigen Oper „L’heure espagnole“genommen. Weil im Großen Haus des Staatstheaters Deutsch mit französischen Einwürfen gesungen wird, läuft die für unbestimmte Zeit letzte Oldenburger Produktion unter dem Titel „Die spanische Stunde“.
Dumm gelaufen: Zuerst bleibt ein Kunde im Laden zurück, der Maultiertreiber Ramiro. Dümmer: Liebhaber Gonzalve schneit gleich herein. Oberdumm: Der lästige Verehrer Don Inigo Gomez drängt nach. Da kommt das Versteckspiel zwischen Standuhren, Treppenhaus und Conceptións Schlafzimmer – hm, das liegt in der Intendantenloge – prächtig in Gang. Wie sich das auflöst? Es wird nicht die Stunde des Toreros, sondern die des Maultiertreibers…
Regisseur Tobias Ribitzki weiß, dass zwischen der Posse und der Veredelung durch Ravel eine künstlerische Welt liegt. Das tariert er auf der Bühne vor einer riesigen Uhr, hinter der das Orchester sitzt, prächtig aus. Er lässt der Handlung ihre überdrehte Albernheit. Da passt auch vom unbedarften Ramiro beim Anblick der Uhrwerke und Zahnräder die Überlegung: „Dabei träume ich von der Mechanik der Frauen.“
Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann hat einen Orchesterpart arrangiert, der überaus gelungen Teile des üppig besetzten Originals bewahrt. Ravels hier impressionistische Atmosphäre, seine individuelle Zeichnung der Charaktere, seine Szenenkommentierung beherrscht den Raum. Im Sänger-Quintett gibt jeder eine eigene Charakterstudie, fügt sich aber locker ins Ensemble ein: Ann-Beth Solvang (Conceptión), Jason Kim (Gonzalve), Philipp Kapeller (Torquemada), Kihun Yoon (Ramiro), Ill-Hoon Choung (Don Inigo Gomez). Die Habanera aller Fünf zum Finale versprüht musikalische und darstellerische Finesse.
Organisiertes Chaos
Ravels Kurzarbeit wird genial durch ein ebenfalls organisiertes Chaos angereichert: György Ligetis „Poème symphonique“für hundert (oder weniger) Metronome. Jedes Orchestermitglied setzt beim Betreten der Bühne in einem Regal einige Ticker in Gang. Das produziert für einige Minuten einen faszinierenden Klick-Teppich in variabler Dichte.
Auch der gehörnte Don Torquemada erlebt seine glückliche Stunde. Um nicht entlarvt zu werden, geben sich Gonzalve und Gomez als neugierige Kunden aus – und kaufen Uhren zum Wucherpreis. Olé!