DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
ROMAN VON STEPHANIE COWELL Copyright © 2010 Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
76. Fortsetzung
Mon Dieu, bat er, als sie in seinen Armen einschlief, lösche alle Erinnerungen an diese Nacht aus und mit ihr alle Geister, die mich verfolgt haben.
1870
Ich besaß nie viel Kampfgeist und hätte wohl oft aufgegeben, wenn mir mein guter Freund Monet, der durchaus Kampfgeist besaß, nicht den Rücken gestärkt hätte.
R E N O I R zu einem jungen Maler
Das war das letzte Mal in diesem Winter, dass er Camille erfolgreich befriedigen konnte. Als es zum ersten Mal passiert war, hatten sie gelacht. Von all seinen Fähigkeiten hatte ihn diese noch nie zuvor im Stich gelassen.
Camille arbeitete täglich in der Buchhandlung, die nicht weit von ihrem Zimmer entfernt lag, daher lief sie hin und her, gab Jean gelegentlich bei einer Nachbarin ab und nahm ihn manchmal mit. Nur selten ließ sie ihn bei Claude, weil sie fand, Claude müsse ungestört malen können. Ihm war es nach wie vor zuwider, dass sie arbeiten ging. Er kratzte alte Leinwände ab, um sie neu zu bemalen. Er borgte sich Farben. Er wusste, dass sie Geld von ihrer Familie angenommen hatte, wagte aber nicht, sie darauf anzusprechen. Weihnachten verbrachten sie allein mit ihrem Sohn. Ihre Freunde hatten sich in alle Winde zerstreut, und Claude weigerte sich, zum Weihnachtsessen zur Familie Doncieux zu gehen. Camille weinte sich in den Schlaf.
Claudes Vater schrieb im Januar, und Claude steckte den Brief mit der Absicht, ihn später zu lesen, ungeöffnet zwischen zwei Bücher und vergaß ihn. Erst Wochen später erzählt ihm jemand, den er auf der Straße traf, dass Claudes heitere, großmütige alte Tante an Herzversagen gestorben war. Tränen traten ihm in die Augen. Er begann mit einem Brief an seinen Vater und ließ ihn unvollendet liegen. Nach einiger Zeit bekam er einen wütenden Brief von seinem Bruder Léon, den Claude ebenfalls nicht beantwortete.
Im Laufe des Winters erkrankte er immer wieder. Eine Zeitlang hatte er starken Husten und Fieber, und Camille schrieb an ihre grandmère und bat um eine Kräutermischung für einen Tee. Salbeitee, lautete der Ratschlag. Hast du noch etwas von dem Weihwasser? Sprenkle es nachts auf sein Kopfkissen.
Der Brief war in schöner Handschrift von einem Priester verfasst, da die Witwe Faucher weder lesen noch schreiben konnte. Das Päckchen enthielt getrockneten Salbei und Rosmarin in einem Stoffsäckchen. Camille kaufte Gelee aus Schwarzen Johannisbeeren und ging bei der Apotheke mit den Rosenholzvitrinen vorbei, um ein kleines, braunes Fläschchen Äthylnitrit zu erwerben. Zurück in ihrem Zimmer, vermischte sie den Gelee und den Inhalt des braunen Fläschchens mit kochendem Wasser, setzte sich neben Claude, während er eine ganze Tasse von dem Gebräu trank, und bewahrte den Rest in einer abgedeckten Schüssel auf. Sie band sich ein Kopftuch um und schritt in ihrer langen Schürze durch das Zimmer. Und da war Jean, sein lieber, süßer kleiner Junge, der jetzt laufen konnte und alles erforschte. Mehr als einmal erwischte Claude ihn dabei, wie Jean versuchte, den Deckel einer Tube Ölfarbe aufzuschrauben, oder nachdenklich an einem Pinsel kaute.
Victoire schnarchte am Fuße des Bettes.
Claude ging nicht aus, um seine Freunde zu besuchen, und sie kamen auch selten zu ihm, da sie nach der Verschiebung der Ausstellung in den nächsten Herbst alle verärgert aufeinander zu sein schienen. Alle hatten zu kämpfen. Keiner hatte Zeit oder Geld, sich in Cafés zu treffen. Frédéric war unglücklich, wollte aber nicht sagen, warum.
In den meisten Nächten lag Claude wach neben Camille und lauschte den Geräuschen der Stadt. Er war erschöpft, konnte jedoch nicht schlafen.
An einem bitterkalten Tag fand er einen Brief von seinem Vater im Postkasten und las ihn beim Hinaufgehen, die Milchkanne in der Hand und das Brot unter dem anderen Arm. ,,Mein lieber Claude, ich halte es für besser, Dir die schlechte Nachricht nicht länger vorzuenthalten. Die Ärzte glauben, dass ich Krebs habe. Ich bin zu schwach, um noch im Laden zu arbeiten, und plane, ihn zu verkaufen, was mich traurig macht. Ich habe seit über einem Jahr nichts mehr von Dir gehört. Wie mag es Dir gehen? Schreib mir, wenn Du kannst."
Wegen des Tränenschleiers vor seinen Augen wollte es ihm kaum gelingen, den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Wie oft hatte er im Kopf zukünftige, triumphierende Briefe an seinen Vater entworfen, in denen er ihm mitteilte, wie erfolgreich er sei und dass er ein Haus mit Garten auf dem Land besäße. Zieh zu uns, hatte er schreiben wollen. Komm zu unserer Hochzeit, lerne deinen Enkelsohn kennen.
Er konnte nicht nach Hause schreiben, bevor sich seine Pläne nicht realisiert hatten.
Claude blieb in der Mitte des Zimmers stehen, den Brief in der Hand, und sank auf das zerwühlte, ungemachte Bett. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht mit dem Arm bedeckt. Für die triumphierenden Briefe würde sein Vater nicht mehr lange genug leben.