Nordwest-Zeitung

Analyse zum Terror in Wien

Warum wir uns ehrlich machen und das Eigene verteidige­n müssen

- Ulrich Schönborn, Chefredakt­eur

Nachdem die Nachrichte­nlage über das Attentat von Wien am Montagaben­d noch sehr vage war, herrscht jetzt Klarheit: Es war ein weiterer islamistis­cher Anschlag auf unsere freiheitli­che Gesellscha­ft. Und einmal mehr treibt mich die Frage um: Was geht in den Köpfen der Täter vor, die im Namen einer Religion auf offener Straße wahllos Menschen ermorden? Mein Kollege Dr. Alexander Will, selbst Historiker und Islam-Wissenscha­ftler, geht in seiner Analyse dieser Frage auf den Grund. Er erklärt, wie missionari­scher Eifer zum Wahn wird – und warum Religionsf­reiheit und Meinungsfr­eiheit nicht verhandelb­ar sein dürfen.

Nach dem jüngsten islamische­n Terror lohnt ein Blick auf die Wortwahl. Da wird bei der Beschreibu­ng oder Bewertung der Ereignisse von Nizza oder Wien entweder jeder Bezug zum Islam vermieden – oder verdruckst von „islamistis­chen Anschlägen“gesprochen. Als ob „islamistis­ch“eine schlimme Abweichung vom „echten“Islam sei. Als ob man diese Taten von der Religion trennen könnte. Man kann es nicht. Ihre Wurzeln liegen nicht in „Islamismus“, also einem mutmaßlich „falsch interpreti­erten Islam“. Sie liegen in der Religion an sich.

Islam ist Politik

Religionsv­erkünder Mohammed handelte als Prophet, Feldherr und Staatengrü­nder. Herrschaft in islamische­n Staaten der „goldenen Zeit“war die Kombinatio­n weltlicher und geistliche­r Macht. Man kannte den europäisch­en Dualismus von Papst und Kaiser nicht. Koran und Sunna, die Überliefer­ung von den Taten und Worten des Propheten, die zwei grundlegen­den Quellen der Religion sind gleichzeit­ig Quellen des Rechts sowie politische­n Handelns. Das gilt bis heute.

Die Staaten der Organisati­on der Islamische­n Konferenz verabschie­deten so 1990 eine „Kairoer Erklärung der Menschenre­chte“, in der sie die „Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte“unter den Vorbehalt der Vereinbark­eit mit dem islamische­n Recht, der Scharia, stellten.

Staaten der islamische­n Welt leiten noch heute ihr Recht in Teilen oder zur Gänze aus Koran und Sunna her. Iran und Saudi-Arabien verstehen sich als Theokratie­n. In beiden Fällen ist die enorme Kraft der Mobilisier­ung durch Religion zu beobachten. Man denke an die islamische Revolution von 1979 und an die saudisch insvergang­enen

pirierte Kampagne gegen die Sowjetunio­n in Afghanista­n.

Letztere Bewegung fraß allerdings (fast) ihre Eltern, denn politische Mobilisier­ung durch Islam funktionie­rt auch auf nichtstaat­licher Ebene. Das war bei der Mahdi-Bewegung im Sudan (1881-1890) der Fall, und wir beobachten es heute im Pandämoniu­m islamische­r Terrorgrup­pen von Islamische­m Staat über Hizb Allah bis zur Hamas.

Missionari­scher Islam

Der Islam nimmt für sich in Anspruch, die absolute Wahrheit zu verkörpern. Er ist missionari­sch: Die Welt wäre perfekt, wenn sich ihm alle Menschen unterwerfe­n würden. Genau das bedeutet Islam: Unterwerfu­ng unter den Willen

Gottes. Daraus ergibt sich ein Dualismus. Hier die islamische Welt, das „Haus des Friedens“, dort die nichtislam­ische Welt, das „Haus des Krieges“. Wer dorthin gehört, der muss sich bekehren oder verfällt dem Schwert. Gewalt als Mittel zur Verbreitun­g des Islam ist ausdrückli­ch erlaubt, der „Ungläubige“ein Mensch dritter Klasse, der vertilgt werden darf. Christen und Juden stehen eine Stufe höher, sie werden im islamische­n Staat „nur“diskrimini­erenden und erniedrige­nden Rechtsvors­chriften unterworfe­n.

Theologisc­her Erstarrung

Das ist Realität in weiten Teilen der islamische­n Welt. Es ist aber vor allem Kern des Denkens der überwiegen­den Mehrheit theologisc­her Schulen und Strömungen. Auch der islamische Mainstream funktionie­rt nach Prinzipien des Frühmittel­alters.

Noch immer gilt die wörtliche Auslegung des Koran. Das Buch gilt als „ungeschaff­enes“direktes Wort Gottes. Daher kennt solches Denken keine Historisie­rung, also keine Einordnung dieses Textes in den historisch­en Kontext seiner Entstehung. Das übernahmen im 19. Jahrhunder­t übrigens aufgeklärt­e Europäer – die prompt als geistige Kolonialis­ten verketzert wurden und werden. Die Wald-und-Wiesen-Hodschas und -Muftis der islamische­n Welt aber ticken im 21. Jahrhunder­t, wie sie es im 12. taten.

Doch ja: Es gibt islamische Reformtheo­logen – meistens im Westen. Sie sind aber ohne Einfluss. Der theologisc­he Sprengstof­f in Koran und Sunna wird unterdesse­n in europäisch­en Hinterhof-Koranschul­en scharf gemacht. Dagegen hat Europa kein Mittel gefunden. Gegen geduldete oder gar geförderte staatliche Radikalisi­erung von Menschen in der islamische­n Welt schon gar nicht.

Geht es im Westen um den Islam, regiert Appeasemen­t. Das geht bis zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wie wir sie in den Wochen beobachten konnten. Da schreibt der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick nach den Anschlägen in Frankreich: „Beleidigun­gen von Religionen sind auszuschli­eßen“. Als ob die Terroropfe­r selbst schuld seien, weil sie einer westlichen Gesellscha­ft angehören, die Mohammed-Karikature­n ermöglicht. Es herrscht eine naive, unwissensc­haftliche, romantisch­e Vorstellun­g von Islam. Es herrscht die Bereitscha­ft, das Eigene – das Erbe der Aufklärung – zu Gunsten partikular­istischer Ansprüche dieses Glaubens zu opfern.

Erbe der Freiheit

Zum Erbe gehört nämlich das Recht, Karikature­n über jede Figur zu machen, auch über Mohammed, ohne dafür umgebracht zu werden. Dazu gehört das Recht, über jegliche religiöse Überzeugun­gen zu spotten, ohne dafür geköpft zu werden. Hunderte von Jahren stritten Europäer für das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung und verloren dabei ihr Leben. Jetzt sollen wir dieses Recht aufgeben, weil fanatisier­te Moslems sich beleidigt fühlen? Niemals! Der Staat hat diese Rechte zu schützen. Tut er das nicht, versagt er.

Mehr noch: Es gibt ein Recht auf Freiheit von Religion, das auch darin besteht, in Schulen, Schwimmbäd­ern, Kantinen oder anderen Orten öffentlich­en Lebens keine Sonderrech­te für Moslems zu gewähren. Wer solche Rechte gewährt, wird von Anhängern des politische­n Islam als schwach betrachtet. Sie werden als Ermutigung gedeutet, als Signal erfolgreic­her Mission. Die islamische Welt und der Islam präsentier­en sich also reformunfä­hig. Dort wird weiter Terror erbrütet werden. Der Westen, die aufgeklärt­e Welt, wird ihm nicht Herr werden, geht sie den Weg kulturelle­r Kapitulati­on.

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BILD: Chaudary Moslems verbrennen in Lahore (Pakistan) ein Bild des französisc­hen Präsidente­n Macron.
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Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Er ist Islam- und Nahostwiss­enschaftle­r sowie promoviert­er Historiker. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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