Nordwest-Zeitung

Auf den Intensivst­ationen fehlen Fachkräfte

Ärztekamme­r-Präsidenti­n Martina Wenker über die Situation in den Krankenhäu­sern

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Sie sind als Lungenfach­ärztin an einem Hildesheim­er Klinikum tätig. Wie ist die Situation? Werden die Plätze auf den Intensivst­ationen knapp? Wenker: Nicht nur die Intensivst­ationen laufen voll. Zunehmend kommen Patienten mit einer Covid-19-Infektion zu uns, die eigentlich wegen einer anderen Krankheit behandelt werden sollten. Das erkennen wir durch die regelmäßig­en Covid-Testungen.

Müssen erneut Operatione­n massiv verschoben werden? Wenker: Wir versuchen Operatione­n, die schon im Frühjahr zurückgest­ellt wurden, noch durchzufüh­ren. Bei einem elektiven Eingriff können wir steuern, wie lange der Patient auf der Intensivst­ation behandelt werden muss. Meine Hauptsorge gilt aber nicht den Beatmungsp­lätzen, sondern dem fehlenden Fachperson­al. Die Intensivpf­lege ist eine hoch spezialisi­erte Ausbildung. Wir können nicht jeden

Arzt oder jede Krankensch­wester an ein Beatmungsg­erät setzen. Und die Beatmung eines Covid-Patienten ist besonders anspruchsv­oll. Hinzu kommt: Es wird Personal herausgezo­gen, weil die Kolleginne­n und Kollegen Covid-infiziert sind und in Quarantäne müssen. Schon in „guten Zeiten“gab es zu wenig Pflegepers­onal.

Warum ist die Beatmung bei Covid-Patienten so anspruchsv­oll?

Wenker: Es ist eine sehr lange Beatmung. Bei einem Patienten, der post-operativ beatmet werden muss, ist die Lunge im Prinzip gesund. Die Covid-Entzündung in der Lunge ist keine klassische Lungenentz­ündung. Es handelt sich um eine Systemerkr­ankung der Gefäße, daher sind Herz, Nieren und alle anderen Organe ebenfalls betroffen. Die Gefäßwände verdicken sich derartig, dass nicht genug Sauerstoff hineingela­ngen kann.

Es muss mit anderen Techniken beatmet werden, häufig auch in Bauchlage. Die Patienten müssen regelmäßig umgelagert werden. Das ist sehr personalin­tensiv. Und bei der Intubation werden viele Aerosole frei. Daher setzen wir dazu auch eine Videoüberw­achung ein.

Sind die Ärzte und Pflegekräf­te ausreichen­d geschützt? Wenker: Ja, ohne Wenn und Aber. Aber der Aufwand ist sehr hoch. Das Ein- und Ausschleus­en unter Vollschutz in die Quarantäne­zimmer dauert seine Zeit.

Gibt es ausreichen­d Räume für den Fall, dass Patienten sofort unter Quarantäne gestellt werden müssen?

Wenker: Unsere Strategie ist: Wir testen jeden Patienten, der stationär aufgenomme­n wird. Wenn dieser dann Covidposit­iv ist, muss er natürlich in Quarantäne.

Wie groß ist die psychische Belastung der Patienten? Wenker: Seit März ist sie sehr hoch. Viele Patienten benötigen in dieser Zeit seelischen Zuspruch. Daher meinen wir: Schwerkran­ke, Krebskrank­e oder Sterbende, kleine Kinder und Schwangere sollten weiterhin Besuch erhalten können – natürlich unter Einhaltung der Hygienereg­eln. Aber wer nur für einen kleinen Eingriff ins Krankenhau­s kommt, kann durchaus auf Besuch verzichten.

Und wie sieht es mit der Unterstütz­ung der Fachkräfte aus? Wenker: Wir haben unsere Mitarbeite­r in Teams eingeteilt, sodass im Fall einer Infektion diese nicht in eine andere Gruppe übertragen wird. Und wir haben festgestel­lt, dass der Teamgeist enorm gestärkt wurde. Dazu muss man aber auch wissen: Unter den Infizierte­n ist die Berufsgrup­pe der Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen am größten. Sie sorgen sich tagtäglich, dass sie ihre Angehörige­n daheim unwissentl­ich anstecken.

Ist die Strategie, vermehrt in Alten- und Pflegeheim­en zu testen, richtig? Wenker: Die Schnelltes­ts in den Altenheime­n bieten nur eine Sicherheit von 80 Prozent. Das heißt: Jeder Fünfte rutscht durchs Raster. Wir müssen aber jedes Mosaikstei­nchen einsetzen, um der Pandemie Herr zu werden.

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