Auf den Intensivstationen fehlen Fachkräfte
Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker über die Situation in den Krankenhäusern
Sie sind als Lungenfachärztin an einem Hildesheimer Klinikum tätig. Wie ist die Situation? Werden die Plätze auf den Intensivstationen knapp? Wenker: Nicht nur die Intensivstationen laufen voll. Zunehmend kommen Patienten mit einer Covid-19-Infektion zu uns, die eigentlich wegen einer anderen Krankheit behandelt werden sollten. Das erkennen wir durch die regelmäßigen Covid-Testungen.
Müssen erneut Operationen massiv verschoben werden? Wenker: Wir versuchen Operationen, die schon im Frühjahr zurückgestellt wurden, noch durchzuführen. Bei einem elektiven Eingriff können wir steuern, wie lange der Patient auf der Intensivstation behandelt werden muss. Meine Hauptsorge gilt aber nicht den Beatmungsplätzen, sondern dem fehlenden Fachpersonal. Die Intensivpflege ist eine hoch spezialisierte Ausbildung. Wir können nicht jeden
Arzt oder jede Krankenschwester an ein Beatmungsgerät setzen. Und die Beatmung eines Covid-Patienten ist besonders anspruchsvoll. Hinzu kommt: Es wird Personal herausgezogen, weil die Kolleginnen und Kollegen Covid-infiziert sind und in Quarantäne müssen. Schon in „guten Zeiten“gab es zu wenig Pflegepersonal.
Warum ist die Beatmung bei Covid-Patienten so anspruchsvoll?
Wenker: Es ist eine sehr lange Beatmung. Bei einem Patienten, der post-operativ beatmet werden muss, ist die Lunge im Prinzip gesund. Die Covid-Entzündung in der Lunge ist keine klassische Lungenentzündung. Es handelt sich um eine Systemerkrankung der Gefäße, daher sind Herz, Nieren und alle anderen Organe ebenfalls betroffen. Die Gefäßwände verdicken sich derartig, dass nicht genug Sauerstoff hineingelangen kann.
Es muss mit anderen Techniken beatmet werden, häufig auch in Bauchlage. Die Patienten müssen regelmäßig umgelagert werden. Das ist sehr personalintensiv. Und bei der Intubation werden viele Aerosole frei. Daher setzen wir dazu auch eine Videoüberwachung ein.
Sind die Ärzte und Pflegekräfte ausreichend geschützt? Wenker: Ja, ohne Wenn und Aber. Aber der Aufwand ist sehr hoch. Das Ein- und Ausschleusen unter Vollschutz in die Quarantänezimmer dauert seine Zeit.
Gibt es ausreichend Räume für den Fall, dass Patienten sofort unter Quarantäne gestellt werden müssen?
Wenker: Unsere Strategie ist: Wir testen jeden Patienten, der stationär aufgenommen wird. Wenn dieser dann Covidpositiv ist, muss er natürlich in Quarantäne.
Wie groß ist die psychische Belastung der Patienten? Wenker: Seit März ist sie sehr hoch. Viele Patienten benötigen in dieser Zeit seelischen Zuspruch. Daher meinen wir: Schwerkranke, Krebskranke oder Sterbende, kleine Kinder und Schwangere sollten weiterhin Besuch erhalten können – natürlich unter Einhaltung der Hygieneregeln. Aber wer nur für einen kleinen Eingriff ins Krankenhaus kommt, kann durchaus auf Besuch verzichten.
Und wie sieht es mit der Unterstützung der Fachkräfte aus? Wenker: Wir haben unsere Mitarbeiter in Teams eingeteilt, sodass im Fall einer Infektion diese nicht in eine andere Gruppe übertragen wird. Und wir haben festgestellt, dass der Teamgeist enorm gestärkt wurde. Dazu muss man aber auch wissen: Unter den Infizierten ist die Berufsgruppe der Mitarbeiter im Gesundheitswesen am größten. Sie sorgen sich tagtäglich, dass sie ihre Angehörigen daheim unwissentlich anstecken.
Ist die Strategie, vermehrt in Alten- und Pflegeheimen zu testen, richtig? Wenker: Die Schnelltests in den Altenheimen bieten nur eine Sicherheit von 80 Prozent. Das heißt: Jeder Fünfte rutscht durchs Raster. Wir müssen aber jedes Mosaiksteinchen einsetzen, um der Pandemie Herr zu werden.