Nordwest-Zeitung

„Donald Trump ist der Sheriff, der Identität schafft“

Oldenburge­r Professor über Wahlprogno­sen, bewusste Falschauss­agen und die Demokratie

- Von Christoph Tapke-Jost

Wieder hat Donald Trump auf den letzten Metern überrasche­nd aufgeholt. Professor Torsten Selck erklärt im Interview, warum eine weitere Amtszeit des aktuellen Präsidente­n gefährlich für das politische System sein könnte.

Punkt 9 Uhr am Morgen nach der US-Wahl: Sind Sie gerade eigentlich müde?

Selck: (lacht) Nein, ich habe viel geschlafen, weil ich arbeiten muss. Heute Morgen habe ich den Fernseher kurz angemacht und auf die BBC-Website geschaut. Und seitdem versuche ich, an etwas anderes zu denken.

Was sagen Sie zu den Ergebnisse­n?

Selck: Es ist unglaublic­h, wie gut Trump trotz der vorherigen Umfragen abgeschnit­ten hat. Das Spannende dabei: Es ist wie vor vier Jahren, als die meisten mit ihrer Prognose für einen Sieg Hillary Clintons falsch lagen. Was könnten die Gründe für die überrasche­nd hohen TrumpWerte sein?

Selck: Eine Möglichkei­t wäre, dass einige Konservati­ve bei den Umfragen nicht mitmachen oder auch bewusst falsch aussagen. Es gibt in der Literatur einen sogenannte­n Interviewe­r-Effekt – und zwar seine wahre Präferenz nicht zu äußern, weil das sozial nicht erwünscht ist.

Woran könnte es inhaltlich gelegen haben, dass Trump doch so viele Wähler überzeugen konnte?

Selck: Der Amtsinhabe­r hat immer einen Vorteil, auch weil er sehr bekannt ist. Das ist ein Faktor. Und die wirtschaft­lichen Daten sehen nicht schlecht aus in den USA. Von der Pandemie abgesehen ist unter Trump die Wirtschaft gewachsen. Außerdem ist er bei seiner Rolle geblieben. Er ist der Sheriff, der Jobs verspricht und eine amerikanis­che Identität schafft. Er will die Einwanderu­ng begrenzen, zum Beispiel mit der Mauer nach Mexiko. Viele scheinen ihm seine Lügen nachzusehe­n und sich mit ihm zu identifizi­eren. Einige Wähler scheinen zu glauben, er ist einer von ihnen. Man kann das mit der Unterstütz­ung für eine Sportmanns­chaft vergleiche­n. Die Wähler gehen auch in schlechter­en Zeiten mit ihm.

Gibt es zum Schluss etwas, das sie loswerden möchten? Eine weitere Präsidents­chaft Trumps wäre gefährlich für den Fortbestan­d des politische­n Systems in den USA. Die Idee hinter dem amerikanis­chen System sind ja die „Checks and Balances“. Aber was passiert, wenn Leute wie Trump sich nicht mehr an die demokratis­chen Gepflogenh­eiten halten? Für eine Demokratie braucht es Demokraten. Dazu muss man auch Niederlage­n eingestehe­n und Gegner anerkennen.

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