„Donald Trump ist der Sheriff, der Identität schafft“
Oldenburger Professor über Wahlprognosen, bewusste Falschaussagen und die Demokratie
Wieder hat Donald Trump auf den letzten Metern überraschend aufgeholt. Professor Torsten Selck erklärt im Interview, warum eine weitere Amtszeit des aktuellen Präsidenten gefährlich für das politische System sein könnte.
Punkt 9 Uhr am Morgen nach der US-Wahl: Sind Sie gerade eigentlich müde?
Selck: (lacht) Nein, ich habe viel geschlafen, weil ich arbeiten muss. Heute Morgen habe ich den Fernseher kurz angemacht und auf die BBC-Website geschaut. Und seitdem versuche ich, an etwas anderes zu denken.
Was sagen Sie zu den Ergebnissen?
Selck: Es ist unglaublich, wie gut Trump trotz der vorherigen Umfragen abgeschnitten hat. Das Spannende dabei: Es ist wie vor vier Jahren, als die meisten mit ihrer Prognose für einen Sieg Hillary Clintons falsch lagen. Was könnten die Gründe für die überraschend hohen TrumpWerte sein?
Selck: Eine Möglichkeit wäre, dass einige Konservative bei den Umfragen nicht mitmachen oder auch bewusst falsch aussagen. Es gibt in der Literatur einen sogenannten Interviewer-Effekt – und zwar seine wahre Präferenz nicht zu äußern, weil das sozial nicht erwünscht ist.
Woran könnte es inhaltlich gelegen haben, dass Trump doch so viele Wähler überzeugen konnte?
Selck: Der Amtsinhaber hat immer einen Vorteil, auch weil er sehr bekannt ist. Das ist ein Faktor. Und die wirtschaftlichen Daten sehen nicht schlecht aus in den USA. Von der Pandemie abgesehen ist unter Trump die Wirtschaft gewachsen. Außerdem ist er bei seiner Rolle geblieben. Er ist der Sheriff, der Jobs verspricht und eine amerikanische Identität schafft. Er will die Einwanderung begrenzen, zum Beispiel mit der Mauer nach Mexiko. Viele scheinen ihm seine Lügen nachzusehen und sich mit ihm zu identifizieren. Einige Wähler scheinen zu glauben, er ist einer von ihnen. Man kann das mit der Unterstützung für eine Sportmannschaft vergleichen. Die Wähler gehen auch in schlechteren Zeiten mit ihm.
Gibt es zum Schluss etwas, das sie loswerden möchten? Eine weitere Präsidentschaft Trumps wäre gefährlich für den Fortbestand des politischen Systems in den USA. Die Idee hinter dem amerikanischen System sind ja die „Checks and Balances“. Aber was passiert, wenn Leute wie Trump sich nicht mehr an die demokratischen Gepflogenheiten halten? Für eine Demokratie braucht es Demokraten. Dazu muss man auch Niederlagen eingestehen und Gegner anerkennen.