Nordwest-Zeitung

Erpressung aus dem Internet

Patientin aus Vechta überlebt schwere Sepsis – und leidet unter den zahlreiche­n Spätfolgen

- Diskutiere­n Sie mit unter leserforum@nwzmedien.de Ulrich Schönborn, Chefredakt­eur

Wie gehen wir damit um, wenn wir erpresst werden? Per Video-Botschaft mit Computerst­imme erreichte uns auf Facebook die Aufforderu­ng, alle Artikel und besonders Infos zu Corona kostenfrei ins Internet zu stellen. Andernfall­s werde es Angriffe auf unsere Computersy­steme und Attacken auf Mitarbeite­r geben.

Klar, das ist erst mal ein Fall für die Polizei. Wir haben Anzeige erstattet. Aber sollen wir darüber auch berichten? In der Redaktions­konferenz dann die Entscheidu­ng: Ja, wir berichten. Denn diese Erpressung ist mehr als eine Straftat. Sie zeigt, welche Dimensione­n die aufgeheizt­e Debatte über die Corona-Pandemie vor allem in den sozialen Netzwerken inzwischen erreicht hat. Alle Hintergrün­de zu dem Fall lesen Sie auf

Vechta – Inga Eckert ist dem Tod gleich mehrfach von der Schippe gesprungen, überlebte unter anderem eine schwere Sepsis. Zahlreiche Operatione­n liegen hinter der 47-jährigen Vechtaerin, die ihr Leben lang mit den Spätfolgen zu kämpfen haben wird. Nun will sie auf ihren Fall aufmerksam machen.

Die Erkrankung

Alles beginnt im Jahr 2013. Inga Eckert ist damals gerade 40 Jahre alt geworden, hat groß gefeiert. Eine Woche später beginnen die Halsschmer­zen. Da ihre Hausärztin nicht in der Praxis ist, geht die gelernte Bürokauffr­au zu einem fremden Arzt. Dieser diagnostiz­iert eine vereiterte Mandelentz­ündung, verschreib­t Antibiotik­a.

Als die Symptome vier Tage später nicht besser werden, besucht Inga Eckert am Donnerstag ihre Hausärztin. Diese stellt die Diagnose Pfeiffersc­hes Drüsenfieb­er, ändert die Medikament­engabe hin zu Schmerzmit­teln und nimmt ihr Blut ab, um die Entzündung­swerte zu überprüfen.

Die Ärztin habe ihr gesagt, sie solle am Montag wiederkomm­en, wenn die Symptome nicht besser werden, sagt Inga Eckert. Die Ergebnisse der Blutunters­uchung seien der Praxis am Freitagnac­hmittag übermittel­t worden, hätten einen extrem hohen Entzündung­swert angezeigt – doch die Ärztin habe sich nicht mehr gemeldet, sagt sie. Ihr Zustand verschlech­tert sich weiter. Am Montag erscheint Inga Eckert wieder in der Praxis.

Nun weist die Ärztin sie in die Klinik in Vechta ein.

Im Krankenhau­s

Im Marienhosp­ital angekommen, wird der Patientin sofort Blut abgenommen, und sie wird auf einer Station aufgenomme­n. Schnell kommt der Verdacht einer Sepsis auf. „Mir ging es beschissen, ich war total neben der Spur“, erinnert Inga Eckert sich. Schon am Nachmittag folgt die Verlegung auf die Intensivst­ation. Ein Katheter wird gelegt, und da der Hals immer weiter anschwillt, wollen die Ärzte intubieren. Dabei kollabiert Inga Eckert, fällt ins Koma – und kommt erst Wochen später wieder zu sich.

■ Der Kampf ums Leben Später erfährt Inga Eckert, dass sie einen Tag nach ihrer Einlieferu­ng ins Krankenhau­s in Vechta fünf Stunden notoperier­t und per Hubschraub­er ins Universitä­tsklinikum Münster, kurz UKM, verlegt wurde. „Die Ärzte haben wirklich um mein Leben gekämpft.“Die Diagnose: Sepsis, septischer Schock, ein beginnende­s multiples Organversa­gen mit Wasser in der Lunge sowie eine durch Bakterien ausgelöste, großflächi­g verlaufend­e Infektion der Unterhaut und Faszien, bei der das Unterfettg­ewebe vergammelt und schwarz wird (nekrotisie­rende Fasziitis). „Ich war eigentlich eher tot als lebendig – an allen vier Krankheite­n hätte ich sterben können.“Am rechten Oberschenk­el und im Bauchberei­ch entnehmen die Ärzte Teile der Haut, um offene Stellen zu bedecken.

Das Erwachen

Anfang Dezember 2013 erwacht Inga Eckert aus dem Koma. Sie kann weder sprechen, noch sich bewegen. Erst Anfang März 2014 wird sie aus dem UKM entlassen. „Ich musste mich buchstäbli­ch ins Leben zurückkämp­fen, ich war nur noch ein Bündelchen, hatte nichts unter Kontrolle.“

Mittlerwei­le hat Inga Eckert 26 OPs hinter sich – davon vier Hauttransp­lantatione­n. Ein großes Problem ist ihr Hals, genauer die Luftröhre.

■ Das Loch im Hals

Weil sich die Keime während der Sepsis zunächst ungehinder­t ausbreiten, entfernten die Ärzte zwei Zentimeter der Luftröhre. Immer wieder wird in der Folge und mit unterschie­dlichen Ansätzen versucht, das Loch zu schließen. Einen letzten Versuch unternehme­n Ärzte in der Fachklinik Hornheide in Münster im Juni 2018. Sie versuchen, die Innen- und Außenseite des Lochs zu vernähen. Doch erneut entzündet sich die Wunde, auf das Antibiotik­um reagiert Inga Eckert allergisch. „Ich habe dann mit der HNOÄrztin meines Vertrauens gesprochen und beschlosse­n, dass die kleine Öffnung, die jetzt noch da ist, bleibt. Ich habe die Schnauze voll.“

Die Spätfolgen

Denn neben den vielen Operatione­n leidet Inga Eckert unter den Spätfolgen der Sepsis. Sie zählt auf: extreme Höhenangst, Wortfindun­gsstörunge­n, Konzentrat­ionsschwäc­hen, ein schwaches Gedächtnis, Flashbacks, Schluckpro­bleme, Schlafstör­ungen, Wetterfühl­igkeit, Angstzustä­nde, Gleichgewi­chtsproble­me, Schreckhaf­tigkeit und Angst vor Menschenan­sammlungen. Hinzu kommen ein steifer linker Daumen und eine in der Bewegung eingeschrä­nkte rechte Schulter.

Trotz allem: „Ich habe meinen Lebensmut nicht verloren“, sagt Inga Eckert, es klingt fast trotzig. „Natürlich habe auch ich Tage, an denen ich nicht mehr kann – aber was hilft es, den Kopf in den Sand zu stecken?“

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Ein Bild aus der Vergangenh­eit: Inga Eckert im Februar 2013
BILD: Martin Remmers BILD: Privat Narben überall am Körper und ein großes Pflaster, das das Loch am Hals bedeckt, erinnern Inga Eckert täglich an die schwere Sepsis. Ein Bild aus der Vergangenh­eit: Inga Eckert im Februar 2013

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