Bei der US-Wahl kommt es jetzt auf jede Stimme an
Wie Anhänger des Präsidenten auf dessen Betrugsvorwürfe im Auszählungsverfahren reagieren
Gespannt schaut die Welt auf die letzten noch nicht ausgezählten US-Bundesstaaten. Dort zeichneten sich denkbar knappe Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ab. Der demokratische
Herausforderer Joe Biden mahnt – ebenso wie diese Demonstrantin vor dem Brandenburger Tor in Berlin (Bild) –, dass jede Stimme gezählt werden müsse. Der republikanische Amtsinhaber Donald Trump fordert hingegen ein Ende der Auszählung. In unserem Liveblog auf NWZonline.de halten wir Sie auf dem Laufenden. Hintergrund,
Washington – Je schneller sich der US-Demokrat Joe Biden der magischen Zahl von 270 Wahlleuten annähert, die ihm den Einzug ins Weiße Haus sichern würden, umso zahlreicher schießen unter den Anhängern von Donald Trump die Verschwörungstheorien ins Kraut. Genährt werden sie teilweise auch von der Präsidenten-Familie. Wie am Mittwochabend, als Trump-Sohn Eric bei einer Pressekonferenz in Philadelphia (Pennsylvania) ein kurzes Video präsentierte, das einen angeblichen Wahlbetrug zeigen sollte. Zu sehen war, wie ein Bündel von Stimmzetteln in einer Tonne verbrannt wurden. Wenig später stellte sich heraus: Es waren Muster-Stimmzettel für eine Schulung, die niemals in Wählerhand geraten waren.
■ Verrat vermutet
Auch die Klagen, die das Trump-Team in mehreren USBundesstaaten gegen das Auszählungsverfahren eingereicht hat, befeuern die Ansicht unter seinen Fans, sie würden um den Sieg betrogen – eine Meinung, die Trump in der Wahlnacht bei seinem viel kritisierten Auftritt verbreitet hatte. Dort hatte er von einem „großen Betrug an der Öffentlichkeit“gesprochen – eine unbewiesene Behauptung, die dennoch schnell auf fruchtbaren Boden fiel.
Als beispielsweise spät in der Wahlnacht einige Bundesstaaten Pausen bei der Meldung von Stimmen hatten, weil Voten sortiert und geprüft werden mussten, witterten Anhänger des Präsidenten Verrat. In sozialen Medien wie Facebook fanden sich zahlreiche Meinungen, die der von Liz Montalvo aus dem Bundesstaat Texas ähnelten: „Sie haben das Zählen gestoppt, weil Trump und die Republikaner gewinnen. Es gibt keinen anderen logischen Grund dafür.“
■ Causa Filzschreiber
Im umkämpften Bundesstaat Arizona, den Joe Biden nach letzten Berechnungen mit voraussichtlich über 50 Prozent den Republikanern abnehmen wird, verbreitete sich am Mittwoch das Gerücht wie ein Lauffeuer, Tausende von Stimmen für Trump seien disqualifiziert worden, weil das Kreuzchen mit einem im Wahllokal zur Verfügung gestellten Filzschreiber gemacht worden war. Doch was bei der Verbreitung dieses „Skandals“nicht gemeldet wurde: Es war den Bürgern sogar empfohlen worden, diese Stifte zu nutzen. Arizonas Staatssekretärin Katie Hobbs sagte, alle mit diesem Stift ausgefüllten Stimmzettel würden gezählt. Falls die Maschinen sie nicht lesen könnten, würde dies manuell erledigt. Es gebe keine Grundlage für eine Verschwörung.
■ Proteste Dennoch fanden sich in der
Nacht zu Donnerstag in Arizona Dutzende von teilweise bewaffneten Trump-Unterstützern vor Wahllokalen und dem „State Capitol“ein, um in Sprechchören zu fordern: „Zählt die Stimmen!“Kurios dabei: Die Stimmenzählung lief ohnehin weiter, und Trump holte sogar etwas auf.
Auch in Michigan, Nevada und Pennsylvania wurde wie in Arizona demonstriert. Eine der häufigsten Beschwerden aus dem Lager Trumps war dabei: Dass es plötzlich – nachdem Trump weit vorn gelegen habe – vor allem in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin „Blöcke“von Stimmen für Biden gegeben habe, die „gefunden“worden seien. Dabei wurde bewusst übersehen, dass diese Stimmzettel oft per Brief schon vor dem Wahltag angekommen waren – aber die jeweilige Bundesstaats-Volksvertretung, von den Republikanern kontrolliert, eine sofortige Zählung dieser Briefwahlstimmen nach dem Eintreffen untersagt hatte.