Nordwest-Zeitung

Parlament statt Kungelrund­e!

- Alexander Will über die totalitäre Versuchung in Corona-Zeiten

Es ist nicht zu übersehen: Corona bewirkt üble Machtversc­hiebungen in der Politik und leistet totalitäre­n Fantasien Vorschub.

Corona-Entscheidu­ngen werden heute in der Regel von einer Runde getroffen, die das Grundgeset­z überhaupt nicht vorsieht: einer Versammlun­g der Ministerpr­äsidenten und der Kanzlerin. Darauf hat jüngst der ehemalige Verfassung­srichter Hans-Jürgen Papier in der „Neuen Zürcher Zeitung“hingewiese­n. Folge: Die Parlamente, die eigentlich­en Herzkammer­n der Demokratie, werden schleichen­d entmachtet. Parlamenta­rismus heißt aber so, weil die vom Volke gewählten Parlamente entscheide­n – und zwar nach breiter, intensiver, öffentlich­er Debatte – und nicht unkontroll­ierte, intranspar­ente Kungel-Runden nach Art geheimer Konzilien. Ganz besonders gilt das, wenn es um so einschneid­ende Regelungen geht wie derzeit. Das mag mühsam sein, sichert aber Freiheiten. Wer es im Namen technokrat­ischer Effizienz-Vergötteru­ng nicht will, denkt antiparlam­entarisch.

Die Parlamente allerdings haben sich selbst weitgehend aus dem Spiel genommen. Widerstand gegen sanfte Machtübern­ahme der Exekutive blieb ein laues Lüftchen. Paradox: Corona-Maßnahmen werden zwar diskutiert– aber immer erst nachher. Die Abgeordnet­en haben schlicht versagt. Unterdesse­n steht das Volk wie der Ochs vor dem neuen Tor, schicksals­ergeben erwartend, was Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten da ausgebrüte­t haben und ihm überhelfen werden.

Dieser Lage hilft auch ein Gesetz nicht ab, das die Merkel-Koalition in den kommenden Tagen durch den Bundestag peitschen wird. Darin schafft sie nachträgli­ch eine parlamenta­rische Rechtsgrun­dlage für Einschränk­ungen der Freiheit, wie wir sie heute schon kennen – hebelt aber gleichzeit­ig für die Zukunft die Mitbestimm­ung der Parlamente über Einzel

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maßnahmen aus. Es handelt sich damit um ein simples Ermächtigu­ngsgesetz.

De-Parlamenta­risierung produziert bei politisch Verantwort­lichen gedanklich­e Ausflüge ins Totalitäre. Der SPD-Mann Karl Lauterbach möchte denjenigen, die „illegal“Freunde empfangen, ein Rollkomman­do ins Haus schicken.

Was dem Roten recht erscheint, ist dem Schwarzen heutzutage billig. Thomas Röwekamp, CDU-Fraktionsc­hef in der Bremer Bürgerscha­ft, fordert, jeder müsse verpflicht­et werden, die CoronaApp auf dem Handy zu installier­en. Wer sich weigert, solle bestraft werden. Außerdem müsse der Staat per App die Kontakte eines jeden „nachverfol­gen“können.

Aber warum so zögerlich, Herr Röwekamp? Warum nicht jedem einen Chip implantier­en? Der würde totale Kontrolle über den widerspens­tigen Bürger gewährleis­ten und das Problem der Nachverfol­gbarkeit endgültig erledigen. Allerdings auch die Freiheit des Einzelnen.

Wollen wir das alles? Wenn nicht gilt es, derartige Hygiene-Hysterie zu stoppen – und vor allem, sämtliche wichtigen Corona-Entscheidu­ngen ins Tageslicht der Parlamente zurück zu bringen.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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