Nordwest-Zeitung

Wo den Bauern der Schuh drückt

- Von Rainer Urban

Auch in diesem Jahr haben die Bauern in Niedersach­sen protestier­t, fühlen sich von der Politik und den Medien schlecht behandelt und von ihren Mitbürgern nicht verstanden. Mit dem Nabu gerieten sie in Konflikt wegen des Volksbegeh­rens zur Artenvielf­alt. Immer wieder gibt es Streit um den Zustand des Grundwasse­rs, um die Menge der anfallende­n Gülle, um den Schutz der Bäche und Flüsse, um die Haltung der Tiere.

Die Bauern bilden inzwischen eine kleine Minderheit, selbst auf den Dörfern. Deshalb haben auch nur wenige ihrer Mitbürger eine Vorstellun­g davon, wie ein Landwirt heute arbeitet: „So ist das nämlich. Ihr wollt alle Biostrom. Aber ihr habt keine Ahnung“, lässt Uta Ruge den Bruder Waldemar in ihrem Buch „Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusamm­enhang“sagen. Das Dorf: Neubachenb­ruch, heute ein Ortsteil Steinaus, zwischen Otterndorf an der Elbe und Bad Bederkesa gelegen.

In über 50 Kapiteln gliedert sie ihr Material nach drei Schwerpunk­ten. Da ist die Entwicklun­g der Landwirtsc­haft bis 1945. In einem zweiten Schwerpunk­t erzählt sie, wie ihr Vater mit seiner Familie vor der Kollektivi­erung aus der DDR flüchtete, 1957 in Neubachenb­ruch einen Bauernhof übernahm. Den dritten Schwerpunk­t bilden die 20 Kapitel, die mit dem Stichwort

„Heute“markiert worden sind.

Darin geht es um die aktuelle Lage und Stimmung der wenigen noch verblieben­en Bauern, ihre großen, komplizier­ten Maschinen, ihre Tiere und die Milchquote, um Schädlings­bekämpfung und Wölfe, um Maisanbau und Biogasanla­gen.

Diese Kapitel sind lehrreich! Gefragt, was die Bauern am meisten bedrückt, antwortet Bruder Waldemar: „Die politische­n Rahmenbedi­ngungen, die vielen, oft absurden Auflagen beim Wirtschaft­en und Bauen.“

Als Gegner erscheint neben den Politikern immer wieder die Nahrungsmi­ttelindust­rie, so, als ob diese Konzerne nicht selbst in einem heftigen nationalen und internatio­nalen Wettbewerb stünden. Die Bedingunge­n ihres Handelns bleiben aber ausgeblend­et. Und trotz der eindrückli­chen Schilderun­gen von Wasserverb­rauch und Bodenerosi­on in anderen Ländern erörtert Ruge nicht, ob nicht auch bei uns die Bauern an der Zerstörung einer menschenfr­eundlichen Umwelt beteiligt sind.

Trotz dieser Einwände hat Uta Ruge ein anregendes Buch geschriebe­n, das helfen kann, ein realistisc­heres Bild von den Arbeitsbed­ingungen der Bauern zu entwickeln.

Für eine gründliche Lektüre ist allerdings eine Reorganisa­tion des von ihr präsentier­ten umfangreic­hen Materials, zum Beispiel in Form einer Chronologi­e, unverzicht­bar.

Uta Ruge: Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusamm­enhang. Verlag Antje Kunstmann, München, 28 Euro.

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