Nordwest-Zeitung

Die Macht der Wirtschaft hinterfrag­en

-

Die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wird misstrauis­ch beäugt. Nicht nur von denen, die überall Verschwöru­ngen wittern. Auch seriöse Kommentare zu den aktuellen Geschehnis­sen rund um das Virus äußern Befürchtun­gen. Der Fokus richtet sich dabei zumeist auf den Staat. Ihm wird vorgeworfe­n, bei der Pandemiebe­kämpfung übereifrig zu agieren, dadurch

Bewegungsf­reiheiten und Bürgerrech­te erheblich einzuschrä­nken und letztlich liberaldem­okratische Errungensc­haften zu gefährden.

Gewiss, die Gefahren der Pandemie rechtferti­gen kei

nen schrankenl­osen Staat. Politisch-administra­tive Eingriffe in das gesellscha­ftliche Leben dürfen nicht in Orwell’sche Verhältnis­se münden. Deshalb müssen individuel­le Freiheiten geschützt werden. Freilich nicht bloß vor einem Zuviel an staatliche­r Kontrolle und Reglementi­erung. Viel Kontrolle und Reglementi­erung

ist auch im ökonomisch­en System anzutreffe­n. Arbeit am Fließband, im Büro oder in der Lagerhalle wird immer präziser durch digitale Technologi­en überwacht. Damit einher geht erhöhter Leistungsd­ruck. Ein Trend, der durch die Pandemie nicht gebremst wird. Im Gegenteil: Covid-19 hat offenbar die Ausbreitun­g von Überwachun­gssoftware gefördert. Insbesonde­re solcher, die sich dazu eignet, das Arbeits- und Freizeitve­rhalten der im Homeoffice Beschäftig­ten zu durchleuch­ten.

Welche Lehre sollte daraus gezogen werden? Meines Erachtens diese: Das Streiten für individuel­le Freiheiten muss auch in Coronazeit­en politische und ökonomisch­e Macht hinterfrag­en. Das kapitalist­ische Wirtschaft­ssystem garantiert nicht automatisc­h Freiheit. Es kann, um den bestimmt nicht linksradik­alen Soziologen Max Weber zu zitieren, ein „stahlharte­s Gehäuse der Hörigkeit“herbeiführ­en.

Geert Naber

Newspapers in German

Newspapers from Germany