Nordwest-Zeitung

Europa streitet über Gleichbere­chtigung

Polen und Ungarn sperren sich gegen Gleichstel­lung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexue­llen und Transgende­rn

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Brüssel – Die Stimmung zwischen den 27 EU-Botschafte­rn der Mitgliedst­aaten war am Mittwoch auf dem Nullpunkt angekommen. Im Kreis der Ständigen Vertreter erklärte der ungarische Chef-Diplomat nunmehr offiziell, sein Land werde die Einigung über den Haushaltsr­ahmen der Union für 2021 bis 2027 und damit auch den Aufbaufond­s stoppen.

Er bezog sich dabei auf das neue Instrument zur Sicherung der Rechtsstaa­tlichkeit. Wer gegen die Grundwerte der Union verstößt, muss mit einem Stopp der Subvention­en aus Brüssel rechnen. Aus Polen heißt es inzwischen, Warschau werde sich dem Nachbarn anschließe­n.

Am Donnerstag provoziert­e die Brüsseler Kommission mit einem weiteren Vorschlag, bei dem es um Grundwerte geht, die Polen und Ungarn derzeit demontiere­n. Denn die Behörde präsentier­te ihre erste Strategie zur Gleichstel­lung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexue­llen sowie Transgende­rn (LGBTIQ). „Alle Menschen sollten sich frei fühlen zu sein, was sie sind. Das macht Europa aus und dafür stehen wir“, betonte die für die Grundwerte zuständige EU-Kommissari­n Vera Jourova. Eine Aussage, die keineswegs alle teilen.

50 LGBT-freie Zonen

In Polen haben sich inzwischen über 50 Kommunen und Regionen zu „LGBT-freien Zonen“erklärt. Die ungarische Regierung will das Parlament entweder heute oder morgen über eine Verfassung­sänderung abstimmen lassen. Im Gegensatz zur jetzt gültigen Fassung über die Familienre­chte wird dabei herausgest­ellt, dass „die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann“zu sein hat.

Unnachgieb­ige Haltung

In Brüssel, aber auch in etlichen anderen Mitgliedst­aaten ist man allerdings entschloss­en, die volle Gleichstel­lung zu erreichen. „Ich kenne kein Pardon, wenn es darum geht, eine Union der Gleichbere­chtigung zu schaffen“, hatte Kommission­schefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede „Zur Lage der EU“im September vorgegeben. Im Vorjahr hatten bei einer Umfrage unter EU-Bürgern 76 Prozent betont, Lesben, Schwule und Bisexuelle sollten die gleichen Rechte haben wie Heterosexu­elle. In der gleichen Umfrage gaben 43 Prozent der befragten LGBTIQPers­onen an, sie würden diskrimini­ert (2015: 37 Prozent). „Wir sind noch weit von der vollständi­gen Akzeptanz entfernt, die diese Menschen verdienen“, sagte die für Gleichstel­lungsfrage­n verantwort­liche EU-Kommissari­n Helena Dalli gestern. Und ihre Amtskolleg­in Jourova lieferte ein Beispiel mit: „Es darf nicht sein, dass das Kind eines gleichgesc­hlechtlich­en Paares, wenn die Familie innerhalb der EU über eine Grenze fährt, nicht mehr ihr Kind ist.“

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BILD: Mateusz Jagielski/imago In Warschau kommt es immer wieder zu Protesten von LGBTGruppe­n.

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