Nordwest-Zeitung

Rennplatz-Tribüne als Zuhause auf Zeit

Flucht aus zerbombten Bremen und ausgebrann­ter Wohnung nach Oldenburg

- Von Thomas Husmann

Ohmstede/Krusenbusc­h – Die Tribüne vom Rennplatz in Ohmstede als neues Zuhause – für eine gewisse Zeit war das für Gerda Beckmann Realität. Fünf Jahre war sie damals erst alt, doch die Geschehnis­se von damals haben sich tief in ihr Gedächtnis eingebrann­t.

Handtasche blieb

Geboren wurde sie in Bremen, die ersten Jahre ihrer Kindheit hat die 80-Jährige in einem Haus in Bremen/Rablinghau­sen, an der Straße Auf den Deepen, verbracht. „Doch dann, ziemlich zum Ende des Krieges, kam ein fürchterli­cher Bombenangr­iff. Mit meiner Mutter war ich, wie immer bei Alarm, in den Bunker geflüchtet. Doch als wir diesmal wieder herauskame­n, stand um uns herum alles in Flammen. Unser Zuhause war zerstört. Wir standen mit nichts als mit der Handtasche meiner Mutter und ich mit meinem Puppenkoff­er auf der Straße“, erzählt sie noch heute sichtlich bewegt.

Bus hielt in Oldenburg

Was tun? „Wir liefen zu einer Sammelstel­le, stiegen dort in einen Bus, der uns aus der Stadt herausbrin­gen sollte. Meine Mutter sagte zum Fahrer, dass sie an der ersten Stelle aussteigen will, an der der Bus hält“, erzählt sie weiter. Das war in Oldenburg. Sie wurden in die Wohnung einer Familie

an der von-Kobbe-Straße in Haarentor zwangseing­ewiesen. Die Frau des Hauses wollte Mutter und Kind nicht bei sich behalten. Das Mädchen weinte oft, das störte. Schließlic­h wurden sie von einer Nachbarin aufgenomme­n, die etwas freundlich­er war.

Der Krieg ging zu Ende, mit einem Henkeltopf holte ihre Mutter, Else Friedrich, etwas zu Essen von der GEG-Fleischwar­enfabrik an der Industries­traße. Wenig später kehrte der Vater, Paul, zur Familie zurück, dem an der Rennplatzs­traße in einem Zwei-Familienha­us ein Zimmer zugewiesen wurde. Doch auch dort mussten sie nach kurzer Zeit

wieder räumen und die Familie kam im Kassenraum in den Resten der Tribüne des Rennplatze­s unter. In den ursprüngli­ch auf dem Platz für Zwangsarbe­iter gebauten Baracken waren Flüchtling­e aus Lettland untergekom­men.

„Frau Otto Hanken“

Der Vater fand Arbeit bei „Frau Otto Hanken“, die laut Gerda Beckmann so angesproch­en werden wollte, auf einem Hof. Hinter der Tribüne legte er einen kleinen Garten an, hielt Hühner und Kaninchen. Trotz aller Not war Ohmstede für die Kinder ein kleines Paradies. Bei Regen tobten sie

durch die Pfützen, im Sommer fuhren sie zum Baden an den Flötenteic­h oder zu den Bornhorste­r Wiesen – die Seen existierte­n damals noch nicht.

Fließend Wasser gab es nicht, Strom nur zeitweise. Das Wasser wurde in Eimern von einer weiter entfernten Zapfstelle geholt. Mit Bezugssche­inen standen der Familie Betten und Schränke zu, die bei Möbel Rosenbohm bestellt wurden. 1948 wurde ihre Schwester geboren, dann erkrankte ihr Vater, er starb. Auch ihre Schwester ist mittlerwei­le verstorben.

„Ein richtiges Zuhause fanden wir erst 1952, als wir eine moderne Wohnung in Kreyenbrüc­k

bezogen – mit Wassertoil­ette und Badewanne“, erzählt Gerda Beckmann weiter. „Das war wie eine Befreiung.“Sie machte eine Lehre als Kontoristi­n, arbeitete später bei Büsing und Fasch, ihre Mutter fand bei der AEG eine Stelle und blühte förmlich auf. 1961 heiratete Gerda Friedrich ihren Mann Arno und heißt seitdem Beckmann. 1963, 1965 und 1971 kamen ihre drei Töchter zur Welt, drei Enkelkinde­r gehören zur Familie. Heute wohnen die Eheleute in einem schönen Haus in Krusenbusc­h. Das wissen sie sehr zu schätzen, die Erinnerung­en an die schweren Jahre nach dem Krieg sind geblieben.

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BILD: www.alt-oldenburg.de Der Rennplatz in Ohmstede: Im Hintergrun­d ist die Ohmsteder Kirche zu sehen.
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BILD: alt-oldenburg.de 1950: Einst lebten in diesen Baracken am Rennplatz Zwangsarbe­iter, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dort Flüchtling­e aus Lettland unter.
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BILD: Album Beckmann Seltenes Kinderfoto: Gerda Beckmann wurde in Bremen geboren.
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BILD: Album Beckmann Uniformier­te: Blick auf die Tribüne
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BILD: Thomas Husmann Heute: Gerda Beckmann wohnt mit Mann in Krusenbusc­h.

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