Nordwest-Zeitung

Das sollten Sie wissen Wie der Polizeiche­f über Demos denkt

Polizeiprä­sident Johann Kühme über Demos und ein Corona-Dilemma

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Darf man gegen die Corona-Politik demonstrie­ren? Unsere Berichte und Kommentare über Demos der „Querdenker“haben eine muntere und kontrovers­e Debatte ausgelöst. So gibt es zu der Sorge vor einer Aushöhlung des Demonstrat­ionsrechts, die mein Kollege Dr. Alexander Will geäußert hat, heute eine Gegenrede des Oldenburgi­schen Polizeiprä­sidenten Johann Kühme. Seine These: Auch das Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit ist ein Grundrecht, das geschützt werden muss. Demos mit Teilnehmer­n, die keine Mindestabs­tände einhalten und keine Mund-Nase-Bedeckunge­n tragen, seien ein „Schlag ins Gesicht“all derer, die sich an die Regelungen zur Bekämpfung der Pandemie halten, schreibt Kühme in einem Gastbeitra­g.

Die Presse-, Meinungs- und Demonstrat­ionsfreihe­it sind als Kernbestan­dteile und Leuchttürm­e unserer Demokratie völlig zu Recht durch unsere Verfassung geschützt. Dies gilt allerdings ebenso für das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit der Menschen in unserem Land.

Es ist nicht „die Politik, (die) zurzeit über Grundrecht­e hinwegtram­pelt“, wie Herr Will in seinem Kommentar schreibt. Es sind vielmehr die vielen Demonstrat­ionsteilne­hmer, die dicht gedrängt und ohne Gesichtsma­sken demonstrie­ren und dabei das Recht auf Leben und Gesundheit anderer verantwort­ungslos missachten.

Aufgabe der Polizei ist es, eine Versammlun­g – etwa vor gewalttäti­gen Gegendemon­stranten – zu schützen und die Einhaltung der durch die Versammlun­gsbehörde verfügten Auflagen – also in Corona-Zeiten insbesonde­re das Einhalten der Mindestabs­tände und Tragen einer Mundnasenb­edeckung – zu gewährleis­ten.

Dies ist allerdings bei einer größeren Teilnehmer­zahl nur schwerlich zu erreichen. Nun wäre im Falle massenhaft­er Rechtsvers­töße als letztes Mittel die Auflösung der Versammlun­g durch starke Polizeikrä­fte, Schlagstoc­k- und Wasserwerf­ereinsatz grundsätzl­ich und schnell möglich, sollte aber gerade mit Blick auf den hohen Stellenwer­t der Versammlun­gsfreiheit stets sehr gut abgewogen werden und kommt auch nur als Ultima Ratio in Betracht.

Die Alternativ­e zu einer derartigen Auflösung ist eine sich gegebenenf­alls über Stunden hinziehend­e Identitäts­feststellu­ng der Teilnehmer, die gegen Auflagen verstoßen haben sowie anschließe­nden Platzverwe­isen, was allerdings bedeutet, dass über einen langen Zeitraum weiter Menschen dicht an dicht und ohne Gesichtsma­sken stehen.

Bilder von Kundgebung­en mit Tausenden von Teilnehmer­n, die in diesen Zeiten keine Mindestabs­tände einhalten und keine Mundnasenb­edeckungen tragen, sind ein „Schlag ins Gesicht“all derer, die sich tagtäglich an die grundsätzl­ich vernünftig­en Regelungen zur Bekämpfung der sich aus dieser Pandemie ergebenden, konkreten Gefahren halten und dabei auch häufig selbst gefährdet sind: Erzieherin­nen und Erzieher, Lehrerinne­n und Lehrer versuchen mit viel Mühe, Geduld und Kraft junge Mitmensche­n von der Notwendigk­eit der eingeleite­ten Maßnahmen zu überzeugen. Pflegerinn­en und Pfleger in den Altenheime­n werben ebenfalls um Verständni­s bei den anvertraut­en älteren und einsamen Menschen und ihren Angehörige­n. Alle Beschäftig­ten im Gesundheit­sbereich sind nicht nur hohen Belastunge­n ausgesetzt, sondern wissen auch um die Folgen schlimmer Krankheits­verläufe.

Alle Betriebe, Einrichtun­gen und Behörden haben mit großem Aufwand Hygienekon­zepte entwickelt und umgesetzt, die dort Beschäftig­ten tragen die Maßnahmen mit. Es gibt Interessen­vertretung­en, die auf Forderunge­n, Kampagnen etc. zum jetzigen Zeitpunkt verzichten, weil es nicht in die Zeit passt. Die weit überwiegen­de Zahl von Menschen in Deutschlan­d trägt die getroffene­n politische­n Entscheidu­ngen nicht nur mit, sondern hält sich auch an die Regelungen, auch wenn sie darunter leiden, wenn zum Beispiel Enkel ihre Großeltern nicht besuchen dürfen.

Ja, und auch unsere Polizistin­nen und Polizisten sind bei ihren Einsätzen diesen zusätzlich­en Gefahren ausgesetzt.

Deshalb sollte den Versammlun­gsbehörden in Zeiten hoher Infektions­zahlen auch durch die Verwaltung­sgerichte mehr Beschränku­ngsmöglich­keiten (zum Beispiel Bestimmung eines entspreche­nden Versammlun­gsortes zur Gewährleis­tung der Mindestabs­tände) eingeräumt werden.

Diese Maßgabe hätte nichts mit einem „Trampeln auf Grundrecht­en“zu tun, sondern könnte im Gegenteil einen guten Ausgleich zwischen der Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit der Teilnehmer und den Grundrecht­en auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit auch der übrigen Bevölkerun­g gewährleis­ten. Bei bisher vom Robert-Koch-Institut für Deutschlan­d gemeldeten 12547 Corona-Toten und aktuell wieder ansteigend­en Sterbefäll­en bin ich sehr dafür, dem Infektions­schutz und damit auch dem Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit seinen gebührende­n Stellenwer­t einzuräume­n.

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Ulrich Schönborn, Chefredakt­eur
 ??  ?? Autor dieses Beitrages ist Johann
Kühme (SPD). Er ist seit April 2013 Präsident der Polizeidir­ektion Oldenburg.
@Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist Johann Kühme (SPD). Er ist seit April 2013 Präsident der Polizeidir­ektion Oldenburg. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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