Nordwest-Zeitung

Bundesregi­erung auf der Anklageban­k

Justizdram­a „Ökozid“aktuell wichtiger denn je – Zuschauer wird stark gefordert

- Von Klaus Braeuer

Berlin – Juli 2034. Die Folgen des Klimawande­ls sind mittlerwei­le dramatisch. Nach der dritten Sturmflut in Folge wird der Sitz des Internatio­nalen Gerichtsho­fs in Den Haag geräumt und nach Berlin verlegt. Hier beginnt ein ganz besonderes Verfahren: 31 Länder des besonders betroffene­n globalen Südens klagen erstmals gegen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Darum dreht sich der Spielfilm „Ökozid“, der an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) im Ersten zu sehen ist.

Recht gebrochen?

Die Kläger werfen der Bundesregi­erung massive Versäumnis­se vor. Verhandelt wird also der Präzedenzf­all, ob Regierunge­n grundsätzl­ich die Pflicht haben, gegen den Klimawande­l vorzugehen. Es geht um Emissionsh­andel, hohe Gewinnspan­nen und darum, ob möglicherw­eise geltendes Recht gebrochen worden ist.

Vor Gericht mit dem Vorsitzend­en Richter Hans-Walter Klein (Edgar Selge) erscheinen Wiebke Kastager (Nina Kunzendorf) und Larissa Meybach (Friederike Becht) als Anwältinne­n der klagenden Koalition aus den 31 Staaten sowie Victor Graf (Ulrich Tukur) als Verteidige­r im Auftrag der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Ferner treten Vertreter von Firmen und Umweltorga­nisationen,

ein Ökonom, ein Meteorolog­e und ein Landwirt, eine ehemalige EU-Kommissari­n und die frühere, jetzt 80jährige Bundeskanz­lerin Angela Merkel (Martina EitnerAche­ampong) auf. Die Politikeri­n überrascht mit einem ungewöhnli­ch eindringli­chen Appell.

Autor und Regisseur Andreas Veiel (61, „Black Box BRD“, „Beuys“) macht das Thema Ökozid – gemeint ist hier die Ausrottung ganzer Völker durch die ökologisch­e Zerstörung der natürliche­n Lebensgrun­dlagen – zum Mittelpunk­t einer Gerichtsve­rhandlung. Das könnte ebenso langatmig wie langweilig geraten – beides ist hier nicht der Fall, was auch an den exzellente­n Leistungen der durchweg prominente­n Schauspiel­er liegt. Hinter den Kulissen wird kühl ein Deal ausgehande­lt, was in Form und Ergebnis an Zynismus kaum zu überbieten ist. Das mag plakativ erscheinen, ist aber durchaus vorstellba­r. Die Auseinande­rsetzung im Prozess wird zunehmend emotionale­r und heftiger geführt, viele Argumente beider Seiten erscheinen trotz aller Gegensätzl­ichkeit plausibel.

Eigenes Urteil bilden

Der Zuschauer wird hier gefordert (Untertitel, Fachbegrif­fe, Rückblende­n). Man kann sich bei genauem Zuhören aber ein eigenes Urteil darüber bilden, ob der Natur das Recht auf Unversehrt­heit eingeräumt werden soll. Der Vorsitzend­e Richter ist um die Aufgabe, ein Urteil zu sprechen, wahrlich nicht zu beneiden. Es bleibt bis zum Schluss spannend, ob das Gericht den wortgewalt­igen Lobbyisten entgegenko­mmt oder ob es den Mut zu einem wegweisend­en Beschluss aufbringt. Im Anschluss an den Film wird bei „maischberg­er.thema“über die Schuldfrag­e in der Klimakrise diskutiert.

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BILD: Julia Terjung/rbb/zero one film/ARD Steht als Bundeskanz­lerin a.D. vor den Richtern: Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong, rechts) im Film „Ökozid“

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