Der Pflichtteilsanspruch als steuerliches Gestaltungsmittel
Schon zu Lebzeiten die Nachfolge regeln
Zur Optimierung der Vermögensnachfolge in erbschaftsteuerlicher Hinsicht gibt es eine Vielzahl von Gestaltungsmittel, die zu Lebzeiten durchgeführt werden können. Die Möglichkeit, zur steuerlichen Optimierung ist hingegen nach Eintritt des Erbfalls weitestgehend ausgeschlossen. Als eines der wenigen Gestaltungsmittel kommt vor allem die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs in Betracht.
Pflichtteilsansprüche reduzieren Erbschaftssteuer
Während die einvernehmliche Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch Abkömmlinge gegenüber dem Ehegatten bei gleichzeitiger Stundung des Anspruchs bis zu dessen Tode noch durchaus naheliegend ist, wird die Möglichkeit der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen sich selbst häufig übersehen. In Betracht kommt diese Gestaltung, wenn der Erbe nach dem Tod einer vorverstorbenen Person einen Pflichtteilsanspruch gegen den Erblasser hatte und diese Verpflichtung im Erbgang auf ihn übergegangen ist. Klassischer Fall ist das Kind, das bereits nach dem Tod des ersten Elternteils einen Pflichtteilsanspruch
gegen den überlebenden Elternteil hat, diesen aber zunächst nicht geltend macht, sondern erst den überlebenden Elternteil beerbt. Hierdurch tritt der Pflichtteilsberechtigte als Erbe letztlich in die entsprechende Verpflichtung ein, so dass Anspruch und Verpflichtung im Wege der „Konfusion“erlöschen.
Erbe kann einen früheren Pflichtteilsanspruch gegen sich selbst geltend machen
Der Bundesfinanzhof hat in einem Urteil vom 5. Februar 2020 zu Aktenzeichen II R 1/16 entschieden, dass derartige Rechtsverhältnisse im Erbschaftsteuerrecht nicht uneingeschränkt als erloschen gelten. Der Pflichtteil wird als Nachlassverbindlichkeit und auch als Erwerb von Todes wegen erst bedeutsam, wenn er geltend gemacht wird (§ 10 Abs. 5 Nummer 2, § 3 Abs. 1 Nummer 1 ErbStG). Bezüglich der Nachlassverbindlichkeit wirkt die Geltendmachung auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zurück (§ 9 Abs. 1 Nummer 1 ErbStG). Sie stellt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO dar. Diese Fiktion gilt auch noch, wenn der Pflichtteilsberechtigte zugleich Erbe des verstorbenen Pflichtteilsverpflichteten geworden ist. Sie umfasst auch das Recht des Berechtigten, die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen sich selbst als Alleinerbe des Verpflichteten nachzuholen.
Das Recht endet mit der Verjährung
Die Fiktion endet allerdings, wenn der Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich verjährt ist. Dann können die erbschaftsteuerlichen Folgen nicht mehr nachträglich beansprucht werden. Diese – steuerlich motivierte – Sichtweise widerspricht dem Zivilrecht. Denn dort führt die Verjährung nicht zum Untergang des Anspruchs, sondern nur dazu, dass dieser nicht mehr gegen den Willen des Verpflichteten durchgesetzt werden kann. Im Sinne der Schlusserben i gemeinschaftlicher Testamente (insbesondere sog. „Berliner Testamente“) sollte daher die Verjährungsfrist verlängert werden. Dies kann bereits im Rahmen des Testamentes erfolgen, sollte allerdings unter der aufschiebenden Bedingung formuliert werden, dass der Pflichtteilsberechtigte auch tatsächlich Schlusserbe des Überlebenden wird.
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Dr. Ulf Künnemann
Rechtsanwalt und Steuerberater, Fachanwalt für Erbrecht, Steuerrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht.