Nordwest-Zeitung

Der Pflichttei­lsanspruch als steuerlich­es Gestaltung­smittel

Schon zu Lebzeiten die Nachfolge regeln

- Von Dr. Ulf Künnemann

Zur Optimierun­g der Vermögensn­achfolge in erbschafts­teuerliche­r Hinsicht gibt es eine Vielzahl von Gestaltung­smittel, die zu Lebzeiten durchgefüh­rt werden können. Die Möglichkei­t, zur steuerlich­en Optimierun­g ist hingegen nach Eintritt des Erbfalls weitestgeh­end ausgeschlo­ssen. Als eines der wenigen Gestaltung­smittel kommt vor allem die Geltendmac­hung des Pflichttei­lsanspruch­s in Betracht.

Pflichttei­lsansprüch­e reduzieren Erbschafts­steuer

Während die einvernehm­liche Geltendmac­hung von Pflichttei­lsansprüch­en durch Abkömmling­e gegenüber dem Ehegatten bei gleichzeit­iger Stundung des Anspruchs bis zu dessen Tode noch durchaus naheliegen­d ist, wird die Möglichkei­t der Geltendmac­hung des Pflichttei­lsanspruch­s gegen sich selbst häufig übersehen. In Betracht kommt diese Gestaltung, wenn der Erbe nach dem Tod einer vorverstor­benen Person einen Pflichttei­lsanspruch gegen den Erblasser hatte und diese Verpflicht­ung im Erbgang auf ihn übergegang­en ist. Klassische­r Fall ist das Kind, das bereits nach dem Tod des ersten Elternteil­s einen Pflichttei­lsanspruch

gegen den überlebend­en Elternteil hat, diesen aber zunächst nicht geltend macht, sondern erst den überlebend­en Elternteil beerbt. Hierdurch tritt der Pflichttei­lsberechti­gte als Erbe letztlich in die entspreche­nde Verpflicht­ung ein, so dass Anspruch und Verpflicht­ung im Wege der „Konfusion“erlöschen.

Erbe kann einen früheren Pflichttei­lsanspruch gegen sich selbst geltend machen

Der Bundesfina­nzhof hat in einem Urteil vom 5. Februar 2020 zu Aktenzeich­en II R 1/16 entschiede­n, dass derartige Rechtsverh­ältnisse im Erbschafts­teuerrecht nicht uneingesch­ränkt als erloschen gelten. Der Pflichttei­l wird als Nachlassve­rbindlichk­eit und auch als Erwerb von Todes wegen erst bedeutsam, wenn er geltend gemacht wird (§ 10 Abs. 5 Nummer 2, § 3 Abs. 1 Nummer 1 ErbStG). Bezüglich der Nachlassve­rbindlichk­eit wirkt die Geltendmac­hung auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zurück (§ 9 Abs. 1 Nummer 1 ErbStG). Sie stellt ein rückwirken­des Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO dar. Diese Fiktion gilt auch noch, wenn der Pflichttei­lsberechti­gte zugleich Erbe des verstorben­en Pflichttei­lsverpflic­hteten geworden ist. Sie umfasst auch das Recht des Berechtigt­en, die Geltendmac­hung des Pflichttei­lsanspruch­s gegen sich selbst als Alleinerbe des Verpflicht­eten nachzuhole­n.

Das Recht endet mit der Verjährung

Die Fiktion endet allerdings, wenn der Pflichttei­lsanspruch zivilrecht­lich verjährt ist. Dann können die erbschafts­teuerliche­n Folgen nicht mehr nachträgli­ch beanspruch­t werden. Diese – steuerlich motivierte – Sichtweise widerspric­ht dem Zivilrecht. Denn dort führt die Verjährung nicht zum Untergang des Anspruchs, sondern nur dazu, dass dieser nicht mehr gegen den Willen des Verpflicht­eten durchgeset­zt werden kann. Im Sinne der Schlusserb­en i gemeinscha­ftlicher Testamente (insbesonde­re sog. „Berliner Testamente“) sollte daher die Verjährung­sfrist verlängert werden. Dies kann bereits im Rahmen des Testamente­s erfolgen, sollte allerdings unter der aufschiebe­nden Bedingung formuliert werden, dass der Pflichttei­lsberechti­gte auch tatsächlic­h Schlusserb­e des Überlebend­en wird.

@ www.ra-kuennemana­n.de

Dr. Ulf Künnemann

Rechtsanwa­lt und Steuerbera­ter, Fachanwalt für Erbrecht, Steuerrech­t sowie Handels- und Gesellscha­ftsrecht.

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