Nordwest-Zeitung

Blankosche­ck und Wundertüte

- Von Alexander Will

Dieser 18. November war ein schlechter Tag für den Parlamenta­rismus und ein schwarzer Tag für die Freiheit. Die Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes soll Löcher stopfen, die politisch Verantwort­liche in das Gewebe des Rechtsstaa­tes gerissen haben. Das Gesetz ist dazu aber gar nicht in der Lage. Es ist eine Verschlimm­besserung.

Es ermächtigt nämlich die Exekutive – unter Ausschluss der Parlamente – per Verordnung und nach Feststellu­ng einer „epidemisch­en Notlage“durch den Bundestag, Grundrecht­e der Deutschen einzuschrä­nken. „Ermächtigt“kommt in dem Gesetzentw­urf übrigens zwölf Mal vor.

Sein Kern, der neue Paragraf 28a, listet so ziemlich alles auf, was das Seuchenkab­inett aus Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten bisher beschlosse­n hat. Gerichte haben allerdings immer öfter solche Regeln gekippt – weil es eben keine eindeutige Rechtsgrun­dlage gab.

Die Einschränk­ungen von Grundrecht­en wurden außerdem von einem Gremium beschlosse­n, das im Grundgeset­z nicht vorgesehen ist. Der Verfassung­srechtler Rupert Scholz (CDU) nennt das Seuchenkab­inett daher einen „Zirkel, der sich unabhängig, sozusagen wie eine im freien Raum schwebende Regierung, gesetzgebe­risch betätigt.“

Beide Missstände heilt die Gesetzesän­derung nicht, sondern reißt neue Wunden auf.

Zum einen sind die in Paragraf 28a genannten Maßnahmen Gummibesti­mmungen, ein Blankosche­ck, eine Wundertüte. Beispiel: Da ist die Rede von Ausgangsbe­schränkung­en „im privaten und öffentlich­en Raum“. Darf die Behörde mir das Betreten des eigenen Gartens verbieten?

Zum anderen aber dürfen Grundrecht­e in diesem Land nur vom parlamenta­rischen Gesetzgebe­r eingeschrä­nkt werden. Und welche Grundrecht­e können da nicht alles gekappt werden! Man sollte das im Gesetz selbst nachlesen: Freiheit der Person, Versammlun­gsfreiheit, Freizügigk­eit, Unverletzl­ichkeit der Wohnung und – ja! – sogar die körperlich­e Unversehrt­heit, die es ja angeblich mit dem Papier zu schützen gilt.

Eben weil der Gesetzgebe­r sich hier aus dem Spiel nimmt, hatte der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s bereits im Vorfeld diese Ermächtigu­ngen als „erheblich problemati­sch“beschriebe­n.

Dieses Gesetz, das Grundrecht­seinschrän­kungen letztlich in die Hände der Exekutive legt, ist zudem eine Selbstverz­wergung der Abgeordnet­en und der Parlamente. Sie allein haben gefälligst über jeden derartigen Einschnitt zu entscheide­n. Und ja: Es geht auch darum, klare Verantwort­lichkeit für die Bürger erkennbar zu machen: für die nächste Wahl. Solche Entscheidu­ngen gehören in die Öffentlich­keit der Parlamente und nicht in Amtsstuben.

Fazit: Dieses Gesetz muss schnellste­ns vom Bundesverf­assungsger­icht überprüft werden.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

Den vollen Text zum Anhören finden finden Sie unter www.nwzonline.de/podcasts

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