Als die Welt Gericht hielt über Nazi-Deutschland
Vor 75 Jahren mussten sich die Hauptkriegsverbrecher verantworten
Nürnberg – Hermann Görings Uniform war etwas schlotterig geworden. Der einst zweitwichtigste Machthaber NaziDeutschlands hatte in der Haft abgenommen. Orden und Marschall-Stab hatte er abgeben müssen, war wie ein Verbrecher fotografiert worden. Als er am 20. November 1945, vor genau 75 Jahren, auf der Anklagebank im Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes selbstgefällig Platz nahm, war er sich bewusst, dass die Welt auf ihn schaute. Dafür sorgte schon das Licht: Die Alliierten hatten dafür gesorgt, dass der Gerichtssaal eine Beleuchtung wie in einem Filmstudio erhielt. Schließlich sollte die
Welt im Film sehen, zu welchen Verbrechen Deutsche fähig gewesen waren.
Göring und weitere 21 Funktionäre und Minister Nazi-Deutschlands waren auf der Anklagebank dieses Gerichtes, das aus acht Richtern (zwei USAmerikaner, zwei Briten, zwei Russen und zwei Franzosen) sowie 100 Anklägern bestand. Die Anklage hatte auf 49 Seiten zusammengefasst, was man den Angeklagten vorwarf: einen gemeinsamen Plan zu einer Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 100 Zeugen hatten die Ankläger aufgeboten.
Stadt der Parteitage
Vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 verhandelte der Militärgerichtshof im Nürnberger Justizpalast. Ein mehrfach symbolhafter Ort: Nürnberg – die Stadt der Reichsparteitage, der Ort in dem Streichers Hetzblatt
„Stürmer“erschien. Knapp 250 Quadratmeter bei 6,70 Meter Raumhöhe maß der Saal. Schon zu Kaisers Zeiten wurden hier Prozesse geführt. Und die Nationalsozialisten nutzten den Saal für ihre brutalen „Sondergerichte“, die Menschen wegen geringster Vergehen zum Tode verurteilten. Jetzt saßen die Hauptverantwortlichen für den Mord an sechs Millionen Juden, Sinti und Roma, den Mord an Millionen Kriegsgefangenen, die Ausbeutung Millionen Zwangsarbeiter auf der Anklagebank.
Unter den zahlreichen Pressevertretern waren Markus Wolf (später Chef der Auslandsspionage der DDR), Willy Brandt (Bundeskanzler von 1969 bis 1974), die Schriftsteller Ernest Hemingway, Ilja Ehrenburg, John Dos Passos, John Steinbeck, die Journalistinnen Gitta Sereny, Susanne von Paczensky, Ursula von Kardoff, und Martha Gellhorn.
Saal ist heute Museum
Was die Journalisten im Saal und die Öffentlichkeit über Wochenschau-Filme erfuhren, schockte die Welt. Zeugen berichteten über Verbrechen nie gekannter Grausamkeit. Der Saal 600 diente bis zum Februar 2020 als Gerichtssaal. Jetzt ist der Saal nur noch Museum – als Teil des Nürnberger Memoriums, das an die Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 erinnert.