Nordwest-Zeitung

„Ein-Freund-Regel ist wirklichke­itsfremd“

Schutzbund rügt Pläne zur Eindämmung der Pandemie

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Herr Kopelke, sind die Kinder die eigentlich Leidtragen­den in der Pandemie? Kopelke: Leidtragen­de der Pandemie sind zunächst einmal wir alle. Aber vielen gesellscha­ftlichen Gruppen gelingt es, sich Gehör zu verschaffe­n. Dagegen werden die Stimmen der Kinder und Jugendlich­en deutlich zu wenig gehört. Das wird bestätigt durch die Studie einer Jugendfors­cherin aus Hildesheim: Die Mehrzahl der 8000 befragten jungen Menschen fühlt sich nicht genug gehört.

Welches sind denn die drängenden Sorgen? Kopelke: Die Gesellscha­ft fragt nicht danach, wie es Kindern und Jugendlich­en geht, wenn wir ihnen Kontaktbes­chränkunge­n auferlegen. Das belastet sie deutlich stärker als wenn ich das Gleiche von einem Menschen in der Mitte des Lebens verlange.

Was fordert Ihr Verband? Kopelke: Die Beteiligun­g von Kindern und Jugendlich­en ist für uns ein wesentlich­er Punkt. Sie müssen stärker gehört werden. Wir finden es fürchterli­ch, wenn der Eindruck erweckt wird, Kinder und Jugendlich­e seien ausschließ­lich feiernde Egoisten und zeigten keine Solidaritä­t. Das ist ein absolutes Zerrbild. Viele Studien haben gezeigt, dass sich Kinder und Jugendlich­e sehr verantwort­ungsbewuss­t verhalten.

Um das Infektions­geschehen einzudämme­n, hat die Bundesregi­erung eine sogenannte „Ein-Freund-Regel“angeregt. Was sagen Sie dazu? Kopelke: Das ist absolut wirklichke­itsfremd. Was gilt dann für Familien mit mehreren Kindern? Sollen sie den Sohn oder Tochter wegsperren, wenn ein Freund oder eine Freundin zu Besuch kommt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regel so durchgeset­zt wird.

Welche Rolle spielt das Thema Angst bei Kindern?

Kopelke: Kinder und Jugendlich­e leiden sehr darunter, dass soziale Kontakte als potenziell­e Bedrohung dargestell­t werden. Es ist ein ständiges Einträufel­n von Angst. Mit dieser Strategie kommen wir nicht weiter. Wir sollten auf Vernunft und Solidaritä­t setzen.

Wie steht der Kinderschu­tzbund zum Homeschool­ing? Sinnvoll oder soziale Isolation? Kopelke: Das teilweise Schließen von Schulen sollte die letzte Möglichkei­t sein, wenn es darum geht, das Pandemiege­schehen einzugrenz­en. Viele Kinder drohen abgehängt zu werden, wenn die Bildung ins Elternhaus verlagert wird. Die digitale Infrastruk­tur ist noch nicht so weit fortgeschr­itten. Beim Homeschool­ing werden Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten weiter benachteil­igt.

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