„Ein-Freund-Regel ist wirklichkeitsfremd“
Schutzbund rügt Pläne zur Eindämmung der Pandemie
Herr Kopelke, sind die Kinder die eigentlich Leidtragenden in der Pandemie? Kopelke: Leidtragende der Pandemie sind zunächst einmal wir alle. Aber vielen gesellschaftlichen Gruppen gelingt es, sich Gehör zu verschaffen. Dagegen werden die Stimmen der Kinder und Jugendlichen deutlich zu wenig gehört. Das wird bestätigt durch die Studie einer Jugendforscherin aus Hildesheim: Die Mehrzahl der 8000 befragten jungen Menschen fühlt sich nicht genug gehört.
Welches sind denn die drängenden Sorgen? Kopelke: Die Gesellschaft fragt nicht danach, wie es Kindern und Jugendlichen geht, wenn wir ihnen Kontaktbeschränkungen auferlegen. Das belastet sie deutlich stärker als wenn ich das Gleiche von einem Menschen in der Mitte des Lebens verlange.
Was fordert Ihr Verband? Kopelke: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist für uns ein wesentlicher Punkt. Sie müssen stärker gehört werden. Wir finden es fürchterlich, wenn der Eindruck erweckt wird, Kinder und Jugendliche seien ausschließlich feiernde Egoisten und zeigten keine Solidarität. Das ist ein absolutes Zerrbild. Viele Studien haben gezeigt, dass sich Kinder und Jugendliche sehr verantwortungsbewusst verhalten.
Um das Infektionsgeschehen einzudämmen, hat die Bundesregierung eine sogenannte „Ein-Freund-Regel“angeregt. Was sagen Sie dazu? Kopelke: Das ist absolut wirklichkeitsfremd. Was gilt dann für Familien mit mehreren Kindern? Sollen sie den Sohn oder Tochter wegsperren, wenn ein Freund oder eine Freundin zu Besuch kommt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regel so durchgesetzt wird.
Welche Rolle spielt das Thema Angst bei Kindern?
Kopelke: Kinder und Jugendliche leiden sehr darunter, dass soziale Kontakte als potenzielle Bedrohung dargestellt werden. Es ist ein ständiges Einträufeln von Angst. Mit dieser Strategie kommen wir nicht weiter. Wir sollten auf Vernunft und Solidarität setzen.
Wie steht der Kinderschutzbund zum Homeschooling? Sinnvoll oder soziale Isolation? Kopelke: Das teilweise Schließen von Schulen sollte die letzte Möglichkeit sein, wenn es darum geht, das Pandemiegeschehen einzugrenzen. Viele Kinder drohen abgehängt zu werden, wenn die Bildung ins Elternhaus verlagert wird. Die digitale Infrastruktur ist noch nicht so weit fortgeschritten. Beim Homeschooling werden Kinder aus bildungsfernen Schichten weiter benachteiligt.