Nordwest-Zeitung

Friedensno­belpreistr­äger auf Kriegspfad

Im Windschatt­en der US-Wahl ist am Horn von Afrika ein neuer Konflikthe­rd entstanden

- Von Ralf E. Krüger

Äthiopien – Ein Friedensno­belpreistr­äger macht mobil – und riskiert damit eine militärisc­he Eskalation in einer Region, in der die Großmächte um Einfluss ringen. Während die Welt auf den Ausgang der US-Wahl wartete, schickte am Horn von Afrika Äthiopiens Ministerpr­äsident Abiy Ahmed einigermaß­en unbeachtet sein Militär in die rebellisch­e Provinz Tigray. Die Begründung des Nobelpreis­trägers von 2019: Mit dem Angriff auf einen Militär-Stützpunkt sei dort eine rote Linie überschrit­ten worden.

Tausende geflüchtet

Seither dringen trotz Abriegelun­g und gekappter Kommunikat­ionswege aus Tigray schlimme Nachrichte­n über Massaker, Kämpfe, Bombardier­ungen und Vertreibun­g nach draußen. Unabhängig nachprüfba­r sind sie kaum. Fakt ist: Tausende sind in Nachbarlän­der geflohen. Die UN-Hochkommis­sarin für Menschenre­chte, Michelle Bachelet, warnt: „Es besteht das Risiko, dass die Situation völlig außer Kontrolle gerät und zu vielen Toten und schwerer Zerstörung sowie Fluchtbewe­gungen innerhalb Äthiopiens wie auch über die Grenzen führt.“

Am Mittwoch schlug auch das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nach Vor-Ort-Besuchen in der Region Alarm. „Während die Kämpfe andauern, sehen wir die Entwicklun­g einer schlimmen humanitäre­n Krise“, betonte die IKRK-Delegation­schefin Katia Sorin. Erschweren­d wirke der Kommunikat­ions-Blackout, der auch unter Familienmi­tgliedern jeglichen Kontakt unmöglich mache und die Hilfe von außen beeinträch­tige.

■ Überfüllte Krankenhäu­ser

In den vom IKRK besichtigt­en, hoffnungsl­os überfüllte­n Krankenhäu­sern der Region drängten sich inmitten der Corona-Epidemie Hunderte

Verletzte in der Hoffnung auf Hilfe. Arzneien seien ebenso Mangelware wie Hygieneart­ikel aller Art.

Was Äthiopien zunächst als interne Angelegenh­eit von kurzer Dauer angekündig­t hatte, hat eine Dynamik entwickelt, die die gesamte Region zu destabilis­ieren droht. Am strategisc­h wichtigen Golf von Aden hat sich nach China, den USA, Frankreich und selbst Taiwan gerade auch Russland einen Militärstü­tzpunkt gesichert. Umgeben von Konflikthe­rden wie Jemen und Somalia geht es im Roten Meer um die Sicherung von Interessen auf einer der wichtigste­n Handelsrou­ten der Welt. Neben den Vereinten Nationen warnen auch Hilfsorgan­isationen vor einer humanitäre­n Katastroph­e sowie dem Übergreife­n des Konfliktes auf angrenzend­e Länder.

■ Raketen abgefeuert

Aus Tigray wurden am Wochenende bereits Raketen auf die Hauptstadt des Nachbarsta­ates Eritrea, Asmara, abgefeuert. Es drohen weitere Luftschläg­e. Abiy Ahmed, der 2018 an die Macht kam und bei seinem Reformkurs Funktionär­e der alten Garde von der Tigray-Volksbefre­iungsfront TPLF von der Macht entfernte, stellt sich bei Appellen nach Einstellun­g der Kämpfe bislang taub. Er setzt jetzt auf eine „Schlussoff­ensive“.

■ Außenpolit­ische Probleme

In dem Vielvölker­staat Äthiopien mit seinen 112 Millionen Einwohnern sind ethnische Spannungen und Konflikte nichts Neues. Doch Abiys Offensive kommt zu einer Zeit, da es auch außenpolit­isch nicht an Risiken mangelt. Die Nachbarlän­der Sudan und vor allem Ägypten sind vergrätzt über einen gigantisch­en Staudamm, mit dem Äthiopien das Wasser des Nils für die Stromgewin­nung nutzen will. Beide Nachbarn zeigten mit Militärman­övern bereits ihre Muskeln.

Die TPLF und viele Menschen in der Provinz Tigray fühlen sich von der Zentralreg­ierung nicht vertreten und wünschen sich mehr Autonomie. „Die Leute sind zum Kampf bereit, notfalls mit Stöcken“, kündigte TPLF-Chef Debretsion Gebremicha­el an. Nach seinen Angaben kämpfen die eritreisch­en Streitkräf­te an der Seite der Äthiopier – was offiziell bisher unbestätig­t bleibt.

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