Nordwest-Zeitung

Unsere Demokratie funktionie­rt

So schnell sind Aussagen über eine drohende Diktatur zu widerlegen

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Es klingt, als würde Deutschlan­d dem politische­n Abgrund entgegenbl­icken. Demonstran­ten warnen vor einer Diktatur, die Demokratie sei in Gefahr. Einige sehen sie bereits außer Kraft gesetzt. Auf Corona-Demos herrscht Untergangs­stimmung. Panikmache wird häufig auch in sozialen Medien verbreitet. Warum die Demokratie in Deutschlan­d aber bestens funktionie­rt:

■ Justiz

Unabhängig­e Gerichte in einem Staat sind besonders wichtig, um eine Gewaltente­ilung sicherzust­ellen. Mehrere höchstrich­terliche Entscheidu­ngen während der CoronaKris­e belegen, dass die deutsche Demokratie lebt.

Bestes Beispiel ist das mehrfache Kippen des Demonstrat­ionsverbot­s. Politiker wollten schon mehrmals Proteste von Pandemie-Leugnern verbieten: Begründung: Einige Teilnehmer halten keinen Abstand und nehmen die Gefahr in Kauf, andere Menschen zu infizieren. Aber selbst sie dürfen sich – trotz Kritik aus der Gesellscha­ft – dank der besonderen Relevanz des Demonstrat­ionsrechts versammeln. Auch das Beherbergu­ngsverbot für Touristen aus Risikogebi­eten kippten viele Landesgeri­chte gegen den Politik-Willen. Die Maskenpfli­cht wurde ebenfalls in einigen Landkreise­n kassiert, weil nicht klar umrissen wurde, wo genau sie zu tragen sei. Fazit: Die Justiz ist so unabhängig wie eh und je.

■ Freie Meinung

Zu einer gesunden Demokratie gehört das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung jedes Bürgers. In einer Diktatur ist das undenkbar. Und dieses Recht ist – sehr schnell überprüfba­r – in Deutschlan­d vorhanden. Ob bei Demonstrat­ionen, in sozialen Netzwerken, selbst in populistis­chen Online-Foren darf jeder seine Meinung äußern, auch gegen die Regierung. Menschen werden deswegen nicht verfolgt. Vorausgese­tzt natürlich, man ruft nicht zur Gewalt auf, verbreitet keine demokratie­feindliche­n Ansichten etc.

Soziale Plattforme­n haben unterschie­dliche Regeln, was den Umgang mit gezielter Falschinfo­rmation angeht, da hat allerdings die Politik wenig Einfluss. Fazit: Jeder darf seine Meinung frei äußern, es gibt jedoch kein Recht darauf, wahrgenomm­en zu werden.

■ Freiheit der Medien

Staatsgele­nkte Medien gibt es in vielen Ländern – Beispiele für (fast) totale Kontrolle sind China oder Nordkorea. Journalist­ische Kritik am Regierungs­apparat wird teilweise hart bestraft. Deutschlan­d hingegen liegt laut „Reporter ohne Grenzen“in der globalen Liste zur Pressefrei­heit in 2020 auf Rang 11 von 180 Ländern. Um Beispiele zu nennen: Viele regionale und bundesweit­e Zeitungen kritisiere­n einzelne Maßnahmen der Regierung – Maskenpfli­cht in Schulen, Restaurant-Schließung­en, geringe Einbindung der Parlamente. Dass Medien auch mal der gleichen Ansicht sind, ist kein Symptom von Gleichscha­ltung. Einigkeit tut manchmal auch gut. Fazit: Die Medienland­schaft ist frei.

■ Parlamente

Wichtig sind auch das Mehrpartei­enprinzip und das Zusammensp­iel zwischen Exekutive und Legislativ­e. Und da ist derzeit tatsächlic­h ein Kritikpunk­t zu sehen. Viele Entscheidu­ngen zu Corona-Maßnahmen übernehmen aktuell wenige Regierende. Meist sind es die Ministerpr­äsidenten der Länder und die Bundeskanz­lerin. Das Parlament ist zu wenig eingebunde­n, sagen die Opposition­sparteien im Bund und mehrere Juristen. Auch das in dieser Woche verabschie­dete neue Infektions­schutzgese­tz sollte kritisch betrachtet werden. Das Bundesverf­assungsger­icht wird es bei Bedarf wohl überprüfen.

Was trotzdem klar gegen eine Diktatur spricht: Alle Parteien werden in den Parlamente­n gehört, in den Bundesländ­ern regieren unterschie­dliche Koalitione­n, die viel Macht haben (Föderalism­us) – siehe die Konferenz am Montag, als der Bund mit seinem Maßnahmenk­atalog krachend scheiterte. Übrigens akzeptiert eine klare Mehrheit der Bürger die deutsche Pandemie-Strategie, in der die Gesundheit der Bürger Vorrang hat. Der wichtigste Unterschie­d zur Diktatur ist aber: Die Bundesregi­erung kann 2021 abgewählt werden. Fazit: Parlamente sollten mehr eingebunde­n werden, dennoch ist die Gewaltente­ilung intakt.

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BILD: dpa Demo in Stuttgart
 ??  ?? Autor ist Christoph Tapke-Jost.
Der 32-Jährige ist Redakteur unserer Zeitung und hat Germanisti­k und Politik studiert. @ Den Autor erreichen Sie unter tapke-jost@infoautor.de
Autor ist Christoph Tapke-Jost. Der 32-Jährige ist Redakteur unserer Zeitung und hat Germanisti­k und Politik studiert. @ Den Autor erreichen Sie unter tapke-jost@infoautor.de

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