Nordwest-Zeitung

Thomas Bernhard: Alte Meister (1985)

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Ein alter Musikphilo­soph trifft sich regelmäßig mit einem Privatgele­hrten im Wiener Kunsthisto­rischen Museum und erweist sich dort als ein Genie der Schmähung.

Seine Verachtung trifft so ziemlich alle, die je in der Kunst- und Geisteswel­t umgingen oder noch umgehen. Beispiele gefällig? Martin Heidegger: „lächerlich­er nationalso­zialistisc­her Pumphosens­pieler, verheerend größenwahn­sinnig, ein Voralpensc­hwachdenke­r, der Pantoffelu­nd Schlafhaub­enphilosop­h der Deutschen“. Adalbert Stifter: „hat die Literatur auf die unverschäm­teste Weise total verkitscht.“Überhaupt der Schriftste­ller als solcher: „Die Welt kennt keinen Eitleren und keinen Verlogener­en.“Der Papst: „sitzt in seiner weißverkit­schten Reinseiden­robe als geschminkt­e gefinkelte Weltreisep­uppe unter seiner kugelsiche­ren Glasglocke.“Beethoven: „Mehr Getöse als Musik, das staatsdump­fe Marschiere­n der Noten.“Gustav Mah„eine Verirrung, reinster Massenhyst­erie erzeugende­r Kitsch.“Und „selbst der dicke stinkende Bach an der Thomasorge­l ist nur eine lächerlich­e und zutiefst peinliche Erscheinun­g gewesen.“Österreich­er, die seitenweis­e mit Schimpfkan­onaden eingedeckt werden: „geborene opportunis­tische Duckmäuser und Verbrechen­sdecker.“

So absurd komisch dieser Schmähungs­furor auch sein mag, steckt hinter ihm doch eine zutiefst humane Einsicht ins Verhältnis von Kunst und Leben, denn „wir können uns noch so viele Große Geister und noch so viele Alte Meister als Gefährten genommen haler: ben, sie ersetzen keinen Menschen“. Und dann wären da noch zwei Einsichten, die auch diejenigen teilen, die hier von 100 Büchern im 20. Jahrhunder­t erzählen. Nämlich: „Nur der Dummkopf bewundert, der Gescheite bewundert nicht, er respektier­t, achtet, versteht.“Sowie: „Nur wenn wir die Welt und das Leben auf ihr lächerlich finden, lassen sich Welt und Leben ertragen.“

Thomas Bernhard Alte Meister (Erstveröff­entlichung 1985). Die Kolumne „Ein Jahrhunder­t – 100 Bücher“erscheint exklusiv in dieser Zeitung.

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Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
Die Autoren dieses Beitrages sind Klaus Modick (links) und Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
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