Corona bringt Cineasten auf Oldenburger Palme
Statt Indie- und Arthousefilme gibt es in Wiebke Thomsens Programmkino jetzt Grünkohl
Nicht im falschen Film: Im derzeit geschlossenen Programmkino „Lodderbast“verkauft die ehemalige Oldenburgerin Wiebke Thomsen mit ihrem Mann erfolgreich Grünkohl.
Oldenburg/Hannover – Kurz vor zwölf. Höchste Zeit was zu tun – für Kulturschaffende generell und die Betreiberin von Deutschlands kleinstem Programmkino speziell.
Wiebke Thomsen muss die Kartoffeln abgießen. Zur Mittagszeit scharen sich die Menschen ums „Lodderbast“in Hannover. Es gibt Grünkohl mit Bregenwurst und Schmalzkartöffelchen nach altem Familienrezept statt Festivalstreifen, Genreklassiker und Arthousefilme. Ende Oktober haben Wiebke und ihr Mann Johannes sich – notgedrungen – gegen die goldene und für die grüne Palme entschieden. „Unser selbst aufgespannter Rettungsschirm – wir wollen unser Kino retten“, sagt die 38-Jährige.
Kleinkost und Feinkunst
Im Januar 2018 haben sich Wiebke, die in Oldenburg aufgewachsen und an der HeleneLange-Schule Abi gemacht hat, und Johannes ihren Traum vom eigenen Kino erfüllt: Auf 39 Quadratmetern verteilen sich 50er-Jahre Cocktailsessel und Nierentischchen an denen maximal 24 Menschen Platz haben, integriert ist eine Bar an der es selbst gebackene Brotstullen und Schweizer Raclette gibt, die Kühltheke beherbergt 100 verschiedene Craft-Bier-Sorten. An fünf Tagen laufen bis zu vier Vorstellungen täglich, zu sehen gibt es Experimentelles,
Kreatives Paar: Wiebke und Johannes Thomsen
Spezielles, Bizarres, Klassisches und Brandneues. „Kleinkost und Feinkunst“lautet das Motto des Paares.
Seit dem ersten Lockdown im März bleibt die Leinwand im „Lodderbast“schwarz. Untätig war das Paar von Anfang an nicht: „Wir haben 100 Abende am Stück Online-Kino angeboten – mit Anmoderation, Interviews und anschließenden Publikumsgesprächen per Chat. Manchmal saß man bis drei Uhr nachts mit einem Bier zusammen – zumindest virtuell – und hat geklönt“, sagt Wiebke Thomsen.
Freiheit vor Reichtum
Nachdem sie aus Oldenburg wegzog, studierte sie Philosophie, Kultur- und Filmwissenschaften in Leipzig und Hildesheim und arbeitete später in Programmkinos in Hannover und Berlin. Der Schritt in die Selbstständigkeit war für Wiebke und ihren Mann, einem Kulturjournalisten,
Ganz kleines Kino: Das 39-Quadratmeter große „Lodderbast“ist seit März Corona-bedingt geschlossen.
Werbetexter und leidenschaftlichen Koch, gut durchdacht. „Verzichten für die Freiheit“: das Paar lebt in einer kleinen Wohnung über dem Kino. Reich würden sie nicht werden – „aber wir hatten eine gute Auslastung, wir haben den niedersächsischen Programmkinopreis bekommen und sind, laut Google-Bewertung, zu Deutschlands beliebtes Kino gewählt worden“, sagt Wiebke Thomsen. Das Ziel „auch die allmählich für Programmkinos wegsterbende Netflix-Generation herzulocken“ging auf.
Geschmack der Kindheit
Gäste des „Lodderbast“kamen aus der Nachbarschaft rund um die hannoversche Berliner Allee aber auch aus Celle und Lüneburg – Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Eltern, Senioren, Cineasten, Singles und Familien. „Unsere Stammgäste wieder zu sehen ist toll“, sagt Wiebke Thomsen – aber nicht nur die stehen für den Grünkohl Schlange, den Johannes kocht. „Ganz viele ältere Menschen aus der Umgebung freuen sich, mal wieder einen Klassiker aus Kindheitstagen essen zu können“, sagt seine Frau.
Das Pärchen selbst ist – sie in Oldenburg, er in Hannover – natürlich auch mit dem heimischen Superfood aufgewachsen. Dass Johannes die Version seiner Region mit geräucherter Wurst und zusätzlich in Veggi-Variante nachkocht, kann Wiebke verschmerzen. „Wir sind jeden Tag ausverkauft“, sagt sie. Etwas dazu verdienen muss das Paar trotzdem – sie mit einem Job im Bestattungsinstitut, er als Teilzeitkraft in einer Parfümerie – man sei eben vielfältig interessiert.
Noch bis Februar soll das Kino die Rolle des GrünkohlImbisses spielen. Und dann? „Werden wir weitersehen“, sagt Wiebke Thomsen. Jetzt muss sie aber zu ihren Kartoffeln. Kurz vor zwölf ist längst vorbei und es gibt viel zu tun, wenn man genug gute Ideen hat.
@ www.lodderbast.de