Nordwest-Zeitung

Reichlich Seemannsga­rn auf Walfischzä­hnen

Gert Rosenbohm zeigt Kunstwerke in eigenem Scrimshaw-Museum – Mit „Moby Dick“und Onkel Willi fing alles an

- Von Karin Eickenberg

Im Nordwesten – Wale, wohin man blickt: auf dem Garagentor, am Haustürsch­ild, auf Gemälden und Porzellan, als Knauf am Spaziersto­ck und sogar auf dem winzigen Zahnstoche­rset. Kein Zweifel, hier wohnt Gert Rosenbohm!

Und so richtig spannend wird es, wenn er Besuchern einen Blick in sein kleines, ganz privates ScrimshawM­useum gestattet. Zahn an Zahn reihen sich hier die Zeugnisse einer fast schon vergessene­n Seemannstr­adition: Die alte Ritzkunst der Walfänger auf dem Elfenbein der Meere.

Gert Rosenbohm ist ein Braker durch und durch. Sein ganzes Leben hat er am und auf dem Wasser verbracht. Als Kind am Hafen, an den Gräben und Sielen und später am liebsten im Fischerboo­t auf der Weser und der Nordsee. Klar, dass „Moby Dick“zu seinen Lieblingsb­üchern zählte. Umso größer die Begeisteru­ng, als er mit zwölf Jahren auf einer Ausstellun­g in Brake ein echtes Scrimshaw sah! Das wollte er auch machen!

„Mein Onkel Willi arbeitete damals in der Braker Fettraffin­erie,“erinnert er sich, „da lieferten die großen Walfang-Mutterschi­ffe Öl für die Herstellun­g von Speisefett­en an.“Also wurde der Onkel in eine der Seemannskn­eipen geschickt, um den Walfängern einen Pottwalzah­n abzukaufen – „der wurde gleich in Schnaps und Bier umgesetzt.“So kam Gert zu seinem ersten Walfischza­hn. Und zu einem Kunsthandw­erk, dass ihn bis heute fasziniert.

Zeitvertre­ib auf See

Schrimshaw, so erzählt der 72-Jährige, sei ein Wort, für das es keine deutsche Übersetzun­g gebe. Niemand wisse, woher der Begriff kommt. Mag sein, von „Scrimshank“, was in der Seemannssp­rache für einen Drückeberg­er steht. „Ein unbeschäft­igter Mann trägt den Teufel im Leib“, wussten die Kapitäne.

Und Scrimshaw war ein beliebtes Handwerk, um sich nach der Arbeit an Bord die Langeweile zu vertreiben. „Wenn man sich vorstellt, was da bei miserablem Licht und dann noch auf schaukelnd­en Planken entstanden ist, muss man den Hut ziehen!“

Zum Beweis zeigt er einige historisch­e Originale aus seiner umfangreic­hen Sammlung. Da sieht man kunstvoll

Mensch & Lebensart

Ihre Legastheni­e hält Maria Rauschenbe­rger nicht auf. Mit einem Spiel hilft die Professori­n anderen gestaltete Motive aus dem Alltag der Seeleute, Hafenszene­n, Schiffe, Meerjungfr­auen – und immer wieder den dramatisch­en Kampf mit dem Wal. „Das waren schöne Souvenirs und man konnte zuhause sagen, mit solchen Tieren, die solche Zähne besitzen, haben wir gekämpft!“

Deutlich undramatis­cher geht es bei der Arbeit auf Rosenbohms Küchentisc­h zu. Hier hat sich der „Scrimshand­er“, wie man diese Künstler nennt, einen kleinen Arbeitspla­tz eingericht­et. Das Material zum Ritzen ist in einer Holzkiste verstaut – verschie

REISE

Blühende Korallenri­ffe und weiße Strände des Fischerdor­fes Bayahibe zu Unrecht oft links liegengela­ssen dene Walzähne, Walbarten, ein Stück vom Mammutstoß­zahn, Stoßzähne vom afrikanisc­hen Warzenschw­ein und Rinderknoc­hen. „Walzähne dürfen nicht gehandelt werden“, betont er, „ich mache nur Auftragsar­beiten.“Alle Objekte, die er verkaufe, seien unbedenkli­ch und stammen von nicht geschützte­n Tieren.

Mit Nadel und Ruß

Den Zahn, den er jetzt bearbeitet, hat ein Kunde mitgebrach­t. Er wünscht sich eine typische Walfang-Szene. Rosenbohm setzt das kostbare

Braker durch und durch: Gert Rosenbohm vor einem Schaukaste­n in seinem Scrimshaw-Museum

GARTEN

Winteraste­rn wachsen am besten an einem sonnigen Standort und mögen keine nasse Kälte im Winter.

Stück auf eine Unterlage und legt die Werkzeuge bereit. Die meisten hat er selbst gefertigt, Ritznadeln mit stahlharte­n Spitzen und scharfe Messerklin­gen zum Gravieren. Doch zunächst greift er zum Bleistift, um eine grobe Skizze anzufertig­en. Zügig und aus freier Hand entsteht auf der gewölbten Oberfläche ein Dreimaster mit Fangbooten, Ausguck und Schornstei­n für die Fettkocher­ei. Jetzt noch Wasser, Wolken und natürlich das Wichtigste, die Wale.

Dann beginnt die Feinarbeit. Kratzend zieht die Ritznadel hauchdünne Linien in das harte Material, nur etwa einen zehntel Millimeter dick. „Man kann die Linien auch punktieren“, erklärt er. Leicht vorstellba­r, wie lange es dauert, bis auf diese Weise ein komplettes Bild gestaltet ist.

Viele der winzigen Details sind nur unter der Lupe zu bearbeiten. Zum Schluss wird die gescrimmte Fläche mit Lampenruß eingeriebe­n und wieder abgewischt. Zurück bleiben die nun sichtbaren, geschwärzt­en Rillen.

Etwa 50 Pottwalzäh­ne habe er bisher gescrimmt, verrät der einstige Berufsschu­llehrer. Als Vorlage dienen ihm zeitgenöss­ische Skizzenarb­eiten, vornehmlic­h aus dem 19. Jahrhunder­t. Stolz zeigt er sein Lieblingss­tück: Eine Ansicht des Braker Hafens um 1848, nach dem Gemälde eines Bremer Malers. Deutlich erkennt

Gesundheit

Ein gesundes Maß – das gilt auch beim Alkoholkon­sum. Doch was tun, wenn das Maß überschrit­ten ist? man im Hintergrun­d den turmartige­n Telegrafen, das Wahrzeiche­n der Stadt, davor Segelschif­fe und Boote. „Das Gemälde ist oft kopiert worden, aber ich bin wohl der einzige, der es auf einen Walfischza­hn verewigt hat.“

Volkstümli­che Kunst

Ein Blick in die Vitrinen seines kleinen Museums offenbart das ganze Spektrum dieser volkstümli­chen Kunst. Auch figürliche Arbeiten. „Scrimshaw gab es überall dort, wo Wale gejagt wurden“, sagt der Experte. Beruhigend sei, dass noch nie ein Wal seiner Zähne wegen getötet wurde, beteuert der engagierte Naturfreun­d. Für ihn sind die Giganten der Meere fasziniere­nde Lebewesen. Er greift an seine Halskette und schmunzelt: „Ich habe immer einen Wal dabei!“

Tatsächlic­h, da baumelt ein Stück Stoßzahn vom Narwal …

Scrimshaw Gert Rosenbohms Kunst ist – wegen Corona eingeschrä­nkt – in Ausstellun­gen zu sehen. Weitere Informatio­nen unter Tel. 0151-216 862 83

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BILD: Karin Eickenberg Zeugnisse einer fast schon vergessene­n Seemannstr­adition: Die alte Ritzkunst der Walfänger auf dem Elfenbein der Meere
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BILD: Karin Eickenberg
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