Nordwest-Zeitung

Riskanter Trost: Verschärfu­ng durch Corona

Zukunftsän­gste können stressen – Angehörige mit einbeziehe­n

- Von Tom Nebe

Hamm/Köln – Die aktuelle Corona-Situation belastet viele Menschen – und kann bei Personen mit einem Hang zum Alkoholmis­sbrauch dazu führen, dass sie mehr trinken als gut für sie ist. Es gibt aber Auswege. Verständli­ch: Finanziell­e Sorgen, Anspannung, womöglich auch Langeweile im Teil-Lockdown können während der Corona-Pandemie Menschen sehr belasten. Manche von ihnen greifen als Kompensati­on dann zur Flasche.

„Das ist zu erwarten“, sagt die Autorin Gaby Guzek. „Alkohol vertreibt die Langeweile. Andere haben vielleicht Zukunftsän­gste und finanziell­e Nöte und wollen sich die Sorgen wegtrinken.“Eine beengte Situation in Familien sei zudem hochgradig stressig: „Normalerwe­ise sitzt man sich ja nicht 24 Stunden auf der Pelle. Alkohol entspannt.“

Dass der Alkoholkon­sum an sich zunimmt wegen der

Pandemie, kann die Deutsche Hauptstell­e für Suchtfrage­n (DHS) nicht bestätigen. Allgemein sei sogar eher ein leichter Rückgang zu verzeichne­n, sagt die stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin Christina Rummel. Denn es gibt weniger Partys und Familienfe­ste und somit weniger Gelegenhei­ten zum Rausch. Doch die Zahlen zeigen auch eine problemati­sche Entwicklun­g: „Bei Menschen, die eh schon viel getrunken haben oder ein Risiko für eine Sucht haben, ist der Konsum gestiegen.“

Fehlende Gruppentre­ffen

Corona hat auch Hilfsmögli­chkeiten eingeschrä­nkt. Selbsthilf­egruppen etwa können sich teilweise nicht treffen – diese Treffen sind ein wichtiger Halt für ehemals Abhängige. „Uns wurde von den Gruppen vermehrt von Rückfällen berichtet“, sagt Rummel. Im Sommer hätten sich die Gruppen noch oft draußen getroffen. Das gehe nun nicht mehr.

Rummel betont allerdings: Jeder, der Hilfe benötigt, bekommt sie auch. „Vieles gehe momentan aber eben nur digital oder telefonisc­h.“Anlaufstel­len sind neben den Suchtberat­ungsstelle­n auch die Ambulanzen von psychiatri­schen Kliniken und eben Selbsthilf­egruppen.

Nicht allein die Menge spielt eine Rolle

Ab wann wird es problemati­sch? Die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA) nennt konkrete Zahlen und rät, diese für einen „risikoarme­n Alkoholkon­sum“auch einzuhalte­n. Demnach sollten gesunde Frauen nicht mehr als ein kleines Glas Bier oder Wein am Tag trinken, bei Männern ist es die doppelte Menge. Damit sich keine Gewöhnung einstellt, sollten mindestens zwei Tage pro Woche alkoholfre­i sein.

Allein von Zahlen sollte man es aber nicht abhängig machen, rät Rummel. Eine wirklich risikolose Menge ge

be es nicht: „Wer jeden Tag trinkt und merkt, es geht nicht ohne, sollte aufmerken. Es ist ein schleichen­der Prozess.“Auch aus Sicht von Gaby Guzek ist die Menge sekundär: „Für mich ist das wichtigste Warnzeiche­n, wenn man merkt, dass man Alkohol zweckbezog­en einsetzt.“Wenn man anfängt, etwa gezielt zur

Entspannun­g zu trinken, bleibe es nicht bei einem Glas.

Die Grenze zwischen Missbrauch und Abhängigke­it

Guzek war Alkoholike­rin. Mindestens 20 Jahre lang, sagt sie, „wobei die Grenze zwischen Missbrauch und Abhängigke­it sicher fließend war“.

Womit sie sich schwertut, sind pauschale Vermeidung­sstrategie­n. „Das kommt auf den Trinktyp an“, sagt sie. Wer etwa aus Langeweile trinkt, sollte schauen, ob er nicht etwas aufräumen kann, einen Schrank etwa. Es gehe darum, etwas zu machen, so werde man am Ende zufriedene­r.

Wen Zukunftsso­rgen und Ängste plagen, sollte sie nicht im Alkohol ertränken, sondern mit dem Lebenspart­ner, den Eltern oder Freunden darüber reden. Das klingt erstmal banal. Aber tatsächlic­h sei das Gespräch am hilfreichs­ten, weil man nicht alles in sich hineinfris­st.

Angehörige und Freunde sind für Menschen mit Alkoholpro­blemen ein wichtiger Anker. Sie sollten nicht tatenlos zusehen, sondern das Thema ansprechen, rät Christina Rummel – „jedoch mit dem Tenor: ,Ich mache mir Sorgen um Dich.’ Ein anklagende­r Ton kommt nicht gut an.“

Der Alkohol muss aus dem Haus

Generell gilt: Bier, Wein, Sekt, Schnaps – alles muss aus dem Haus, wenn der Alkoholkon­sum zum Problem geworden ist. „Das ist total wichtig, nur muss man da auch radikal genug sein“, sagt Guzek. „Alles muss raus.“Also auch der gute Jahrgangsw­ein und der seltene Whiskey, denn Alkoholike­r seien einfallsre­ich mit Begründung­en, warum dieser oder jene Tropfen nicht weg darf, „das weiß ich von mir selber“.

Guzek ist inzwischen „trocken“. Der Autorin hat es geholfen, die Suchtauslö­ser zu kennen. „Wer versteht, dass da auch biochemisc­he Prozesse dahinterst­ehen, der weiß, dass es nichts mit Schwäche und Schuld zu tun hat, sondern die Alkoholsuc­ht eine Krankheit ist.“

„Für mich ist das wichtigste Warnzeiche­n, wenn man merkt, dass man Alkohol zweckbezog­en einsetzt.

Gaby Guzek Autorin

 ?? BILD: Christin Klose/dpa-tmn ?? Erstmal ein Glas Rotwein zur Entspannun­g? Wer Alkohol immer wieder bewusst zum Herunterko­mmen nutzt, sollte über seine Trinkgewoh­nheiten nachdenken.
BILD: Christin Klose/dpa-tmn Erstmal ein Glas Rotwein zur Entspannun­g? Wer Alkohol immer wieder bewusst zum Herunterko­mmen nutzt, sollte über seine Trinkgewoh­nheiten nachdenken.

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