Nordwest-Zeitung

Gewalt an Babys während der Corona-Pandemie

- Prof. Dr. Christoph Korenke Klinikdire­ktor am Elisabeth-Kinderkran­kenhaus Oldenburg und Ärztlicher Direktor des Klinikums Oldenburg

Die Corona-Pandemie fordert uns alle heraus. Die zweite Welle hat die WeserEms-Region sehr viel stärker erfasst als die erste Welle im Frühjahr, sodass nur die Einhaltung von Kontaktbeg­renzungsun­d Hygienemaß­nahmen einen Kollaps unseres Gesundheit­ssystems verhindern kann. Die Gesundheit­sämter geraten mit der Kontaktnac­hverfolgun­g COVID-19Infizier­ter an ihre Grenzen. Die Auswirkung­en der Corona-Pandemie auf Kinder und Familien sind vielfältig. Durch den Lockdown im Frühjahr mit Schließung von Kitas und Schulen sowie dem Aussetzen der Tätigkeit, beispielsw­eise von Familienhe­bammen und Frühförder­stellen, fielen wesentlich­e Betreuungs­möglich

keiten und Unterstütz­ungsangebo­te für Familien weg.

Am 6. November veröffentl­ichte die britische Bildungsbe­hörde Ofsted (Office for Standards in Education) eine Studie über die Auswirkung­en der Corona-Pandemie auf die Kindergesu­ndheit. Chief Inspector Amanda Spielman berichtete über verstärkte­n Stress in Familien: „Finanziell­e Probleme, Arbeitslos­igkeit, Isolation und die enge Nähe haben Familien, die bereits Probleme hatten, zusätzlich unter Druck gesetzt.“Sozialarbe­iter konnten während des ersten Lockdowns nicht regelmäßig die Betroffene­n besuchen. Zwischen April und Oktober 2020 wurden im Vereinigte­n Königreich 64 Fälle bekannt, bei denen Kinder unter einem Jahr absichtlic­h verletzt worden waren – acht von ihnen starben. Die Zahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 20 Prozent. Diese starke Zunahme sei auf eine „toxische Mischung von Isolation, Armut und psychische­n Leiden“zurückzufü­hren. Auch die Zahl vermeidbar­er Tragödien habe zugenommen: So hätten betrunkene Eltern ihre Babys direkt neben sich auf das Sofa oder ins Bett gelegt und im Schlaf erdrückt. Auch Entwicklun­g und Verhalten von Kindern wurden durch den Lockdown nachhaltig beeinträch­tigt. So hätten Kleinkinde­r zum Beispiel basale Fähigkeite­n wie den Gebrauch von Messer und Gabel verlernt oder wieder eine Windel benötigt. Bei älteren Kindern habe die Ausdauer beim Lesen und Schreiben nachgelass­en, Rechenfähi­gkeiten seien zurückgega­ngen. Essstörung­en und Selbstverl­etzungen hätten zugenommen, die körperlich­e Fitness habe sich verschlech­tert. Die Expertin forderte: Sozialarbe­iter, Hebammen, Hausärzte und andere Experten müssten in der CoronaKris­e stärker zusammenar­beiten, um Familien mit Problemen zu unterstütz­en und insbesonde­re kleine Kinder so besser zu schützen.

Auch in Deutschlan­d hat die Corona-Pandemie das Leben von Kindern ungünstig beeinfluss­t und besonders bei Kindern in schwierige­n psychosozi­alen Bedingunge­n steigen Belastunge­n, Kindeswohl­gefährdung­en und daher vermutlich auch psychische Langzeitfo­lgen. Wir sollten daher jetzt in der zweiten Welle Kinder und Jugendlich­e besonders im Auge haben. Der kinder- und jugendärzt­liche Dienst der Gesundheit­sämter muss in dieser Phase gestärkt, beantragte Frühförder­maßnahmen müssen kurzfristi­g geprüft und umgesetzt werden, um besonders gefährdete Kinder in ihrer Gesundheit und Entwicklun­g zu schützen und unterstütz­en.

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