DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
Der Winter machte sich breit, und Pissarro und ihm gingen die Leinwände aus. Als sie keine mehr hatten, die sie opfern konnten, um sie zu übermalen, hörten sie damit auf, standen auf der Brick Lane herum und redeten über die neuesten Nachrichten aus Paris. Camille war nicht im Restaurant, vermutlich war sie irgendwo mit Julie unterwegs. Claude war plötzlich sehr müde. Er ging in sein Zimmer, legte sich hin, breitete die Decke und seinen Mantel über sich und schlief sofort ein.
Jemand klopfte an die Tür und weckte ihn. ,,Entrez! La porte est ouverte!", rief er gereizt.
Auf der Schwelle stand, in einem feinen, mit Pelz verbrämten Kaschmirmantel und mit Zylinder, der berühmte Maler Daubigny und schaute sich neugierig um.
Claude erhob sich und stolperte über einen Schuh. ,,Monsieur!", stammelte er. ,,Ich wusste nicht, dass Sie in
London sind. Treten Sie doch bitte ein. Dieses bescheidene Zimmer lässt sich kaum entschuldigen, aber wir schlagen uns alle durch, so gut es geht. Wenn Sie warten mögen, könnte ich losgehen und uns etwas Wein besorgen? Ich bin so froh, Sie zu sehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh."
Daubigny sah sich noch einmal diskret um und schaute dann Claude an. ,,Mir war das Gerücht zu Ohren gekommen, dass Sie in London sind, aber ich konnte Sie erst jetzt finden. Ich habe vielleicht eine Möglichkeit für Sie aufgetan. Mein Kunsthändler ist aus Paris hierhergezogen, wie so viele von uns. Ich habe schon vor ein paar Jahren versucht, ihn für Ihre Arbeiten zu interessieren, und jetzt möchte er Sie kennenlernen. Sie haben zweifellos von ihm gehört: Paul Durand-Ruel. Sie haben in London gemalt? Gut."
Hastig wählte Claude seine Bilder aus. Ein sauberes Hemd konnte er nicht finden. Hinter Daubigny kletterte er in einen
Einspänner, der sich durch den starken Verkehr manövrierte, stieg mit ihm an der New Bond Street aus und betrat eine Galerie mit Wänden voller Bilder und Ständern voller Zeichnungen. Sie ähnelte stark der Pariser Galerie, in der er versucht hatte, seine Arbeiten zu zeigen, nur um vom Gehilfen des Kunsthändlers abgewiesen zu werden.
An einer der Wände hing ein Bild des beliebten Malers Corot, das einen Wald mit grünenden Bäumen zeigte. In Claude weckte es eine so starke Sehnsucht nach dem ländlichen Frankreich, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Am liebsten wäre er in das Bild hineingestiegen. Den etwas fülligen Mann mit dem vorzeitig weiß gewordenen Haar, der auf ihn zukam, konnte er nur verschwommen wahrnehmen. Claude murmelte: ,,Bonjour, ich bin Claude Monet."
,,Mein Name ist Paul Durand-Ruel, Monsieur", erwiderte der Kunsthändler und schüttelte ihm die Hand. ,,Wie seltsam, dass wir beide uns in dieser fremden Stadt begegnen sollten! Ich sehe, Sie haben einige Ihrer Arbeiten mitgebracht. Würden Sie sie mir zeigen?"
Claude lehnte seine Leinwände eine nach der anderen an die Wand, und der Kunsthändler ging davor auf und ab, betrachtete das Ölbild des Hafens von London mit all den Schiffsmasten, dem aufgewühlten Wasser und den Nebelwolken darüber, die Themse bei der Westminster Bridge mit ein paar fernen Booten, und ein melancholisches, einsames Bild des kaum bevölkerten Hyde Park. Schließlich drehte sich Durand-Ruel zu ihm um.
,,Ich glaube, ich kann sie verkaufen", sagte er. ,,Ich nehme alle drei für zweihundert Francs das Stück."
Claude starrte ihn an. ,,Als wir in Paris waren, wollten Sie sich meine Arbeiten nicht einmal anschauen", sagte er. ,,Wodurch hat sich Ihre Meinung geändert, Monsieur?"
,,Manchmal ergibt sich durch missliche Umstände auch etwas Gutes, Monet. Ich hatte nicht erwartet, dass aus diesem etwas Gutes hervorgehen würde, doch vielleicht ist dem so. Es tut mir leid, Sie in Paris abgewiesen zu haben. Ich war der Meinung, Ihre Arbeiten dort nicht verkaufen zu können. Hier glaube ich jedoch, dass es möglich sein wird. Daubigny garantiert dafür. Ich werde Sie natürlich in englischen Pfund bezahlen."
Als sie zusammen in dem Einspänner zurückfuhren, dankte Claude Daubigny, bis ihm keine Worte mehr einfielen. Nachdem er in Spitalfields
ausgestiegen war, sah er der Droschke mit dem berühmten Maler lange nach. Hier, an diesem seltsamen, fremden Ort, hatte sich einer der Künstler, die er am meisten bewunderte, für ihn eingesetzt, und nun hatte Claude mehr Geld in der Tasche, als es je der Fall gewesen war, seit er Trouville verlassen hatte.
Er wandte sich den Ständen zu, die sich vor den Lebensmittelläden auf der Straße ausbreiteten. Er trug noch seine restlichen Bilder, erstand jetzt einen Korb und eilte von Laden zu Laden. Im Milchgeschäft kaufte er Eier, Sahne, Butter und Käse, im Geflügelgeschäft ein frisch geschlachtetes Huhn und in der Metzgerei zwei lange Stränge Wurst. Pissarro würde auch etwas brauchen. Er kaufte Gläser mit Spargel und Marmelade, Tabak und englische Kekse. Dann eilte er mit den Bildern und den Einkäufen die Straße hinunter, durch das Restaurant in die Küche.