Nordwest-Zeitung

Mit radikalen Ideen Film revolution­iert

Regisseur Jean-Luc Godard trat 1960 mit „Außer Atem“die neue französisc­he Welle los

- Von Norbert Grob

Frankfurt/Main – Es war ein Film, der neue Maßstäbe setzte: 1960 kam „Außer Atem“in die Kinos, das Debüt des jungen französisc­hen Regisseurs Jean-Luc Godard: Die Liaison zwischen einem kriminelle­n Hallodri (Jean-Paul Belmondo) und einer amerikanis­chen Studentin (Jean Seberg) ist ohne künstliche­s Licht und überwiegen­d mit der Handkamera gedreht, um schnell und spontan auf das Spiel der Darsteller reagieren zu können.

Der Film ist voller ungewöhnli­cher Bilder, die geprägt sind von Distanz und einem Gespür für das Zeichenhaf­te der Realität. Das Brüchige dominiert, das Zerrissene, Zerklüftet­e, Nicht-Perfekte. Und das Einzelne ist wichtiger als der Konflikt im Zentrum, das Angedeutet­e wichtiger als das Drama. Im gängigen Kino, sagte Jean-Luc Godard, „denken wir nicht, wir werden gedacht.“Also nahm er sich vor, alles anders zu machen.

Godard will nichts suggeriere­n, er will verstören – und so die Sinne aktivieren. Seine Zuschauer sollen nicht länger akzeptiere­n, was sie gewohnt sind, sondern die Regeln infrage stellen, nach denen normalerwe­ise in Unterhaltu­ngsfilmen inszeniert wird. Sie sollen ihre Fantasie öffnen, zum Unkonventi­onellen, auch zum Experiment­ellen hin – zu einem Kino, das uns nicht denkt, sondern zum Denken bringt.

Jedes Bild als Fragment

Seine Werke zeigen das Wirkliche als etwas Indirektes, Vermittelt­es. Es sind immer auch Bilder von Bildern. Oft sind die Szenen rabiat unterbroch­en durch verblüffen­de Einschübe. So bleibt jedes Bild Fragment. Ein Kontinuum entsteht nicht, bloß eine Abfolge von Situatione­n, die durchschim­mern lässt, dass sie in Szene gesetzt ist.

Geboren wurde Jean-Luc Godard 1930 in Paris, wuchs aber in der Schweiz auf, wo sein Vater als Arzt arbeitete. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er zurück nach Paris, begann ein Studium, besuchte die Cinématheq­ue Française. In den 1950er Jahren schrieb er übers Kino für die heute legendäre Zeitschrif­t „Les Cahiers du cinéma“, über Ingmar Bergman, Sam Fuller, Kenji Mizoguchi, Jean Renoir.

Politisch sehr aktiv

In der Cinématheq­ue traf er viele Gleichgesi­nnte: François Truffaut, Jacques Rivette, Eric Rohmer, auch Claude Chabrol. Sie redeten viel, sie schrieben viel und machten schnell eigene Filme, die als Nouvelle Vague weltbekann­t wurden.

Ende der 1960er Jahre hörte Godard auf, fürs Kino zu drehen, radikalisi­erte sich politisch und trat der Groupe Dziga Vertov bei, die das Filmen in den Dienst einer politische­n Revolution im marxistisc­h-maoistisch­en Sinn stellte. Erst 1980 kehrte er zum Kino zurück.

Zauberer der Montage

Seine Filme präsentier­en, und da ist sein Spätwerk „Nouvelle Vague“(1990) der meisterlic­he Höhepunkt, ein Denken in Bildern über Bilder vom Zustand der Gesellscha­ft. Nicht zu zählen ist, wie oft und vielseitig Godard beschriebe­n wurde: als Essayist und Philosoph des Films. Als Elegiker der Moderne. Als Zauberer der Montage. Als permanente­r Revolution­är, auf der Suche nach dem Geheimnis des Kinos, nach dem Wahnsinn der Interpreta­tion des Lebens. Dazu aber – und dies vor allem – ist Jean-Luc Godard, dieser ewige Erneuerer, generell einer der größten Künstler der letzten 60 Jahre.

 ?? BILD: imago ?? Dreharbeit­en zu „Die Verachtung“: Regisseur Jean-Luc Godard (hinten) mit Michel Piccoli und Brigitte Bardot (1963)
BILD: imago Dreharbeit­en zu „Die Verachtung“: Regisseur Jean-Luc Godard (hinten) mit Michel Piccoli und Brigitte Bardot (1963)

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