Nordwest-Zeitung

Eine Weltmeiste­rin, die ein Mann war

ARD zeigt „Einer wie Erika“– ein sensibler und atmosphäri­sch starker Spielfilm

- Von Katharina Zeckau

Wien/Köln – „Schon wieder rennt sie weg!“, seufzt die Mutter, als Erika mal wieder davonspurt­et: raus aus der Küche mit ihren ungeliebte­n Aufgaben, hinaus in den Wald, die Berge, die Freiheit. Ein ungestümes, wildes Naturmädch­en, ständig in Bewegung. Und der Zuschauer ist ganz nah dran an ihrer Lebensfreu­de. Rennt atemlos mit ihr ins Freie, fährt in einer Seifenkist­e einen Hügel hinunter, krabbelt blitzschne­ll zwischen den versammelt­en Dorfbewohn­ern hindurch.

Mit der Kameraarbe­it, seinem hohen Tempo und tollen Darsteller­n schafft der Film „Einer wie Erika“, den das Erste am Mittwoch, 25. November (20.15 Uhr) zeigt, von Anfang an eine erstaunlic­he Nähe zu seiner zentralen Figur.

Nicht wie die anderen

Bei der Geburt im Jahr 1948 in einem Kärntner Bauerndorf wurde Erika fälschlich­erweise als Mädchen eingestuft: Tatsächlic­h waren die Geschlecht­steile aufgrund von Pseudoherm­aphroditis­mus nach innen gewachsen. Zwar merken die durchaus liebevolle­n Eltern, dass Erika „nicht wie die anderen“ist. So ganz genau wollen sie es aber auch nicht wissen – welch Wunder in diesem konservati­ven Umfeld. Für das Kind zählt ohnehin nur, dass es seine sportlich-ehrgeizige Seite ausleben darf. Und so wird das Bauernmädc­hen zum Mitglied der österreich­ischen Ski-Nationalma­nnschaft. Der schnelle Aufstieg gipfelt 1966 im Weltmeiste­rtitel, den Erika Schinegger im Abfahrtsla­uf der Frauen holt.

1968 dann wird bei einem Medizintes­t festgestel­lt, dass Erika – als Erwachsene beziehungs­weise Erwachsene­r berührend und furios gespielt von Markus Freistätte­r – genetisch männlich ist. Die SkiFunktio­näre sind bemüht, den Skandal kleinzuhal­ten. Sie verstecken Erika vor den Augen der Weltöffent­lichkeit in einer Klinik, lassen sie bewachen und bearbeiten sie, sich zu einer „richtigen“Frau umoperiere­n zu lassen. Alles, um das eigene Ansehen und das des nationalen Skiverband­es zu retten. Tribunalha­fte Szenen sind das, in denen das unbedarfte Mädel vom Lande, das doch einfach nur Skifahren will, einer rückgratlo­sen, heuchleris­chen Phalanx von männlichen Funktionär­en gegenübers­itzt.

Klima der 1960er Jahre

Dieses Kapitel des Films zeigt ein empörendes Beispiel dafür, wie wenig die individuel­le Freiheit im Klima der 1960er Jahre zählte. Noch brutaler war die Missachtun­g, wenn es um einen nicht klar in gängige Schemata einzuordne­nden Menschen wie Erika/Erik ging. Gerettet wurde dieser, so erzählt es das Drama, von seiner warmherzig­en „Aufpasseri­n“, Schwester Sigberta (Marianne Sägebrecht), und dem aufgeklärt­en Arzt Dr. Kübler (Harald Schrott): Von diesen unterstütz­t findet Erika den für sie richtigen Weg – und entscheide­t sich, Erik zu werden.

Flott, schlank und effizient ist der Film erzählt – und zugleich sinnlich. Mit einer in Ausstattun­g, Musik, Kamera und Inszenieru­ng stark aufs Atmosphäri­sche setzenden Herangehen­sweise kommt das Drama dem Empfinden seiner Hauptfigur sehr nahe. Und formuliert damit ein Plädoyer für ein tolerantes und sensibles Miteinande­r.

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BILD: Ioan Gavriel/SWR/ORF/Lotus Film/Zeitsprung Pictures Erika (Markus Freistätte­r) wird unter Druck gesetzt – sie soll unterschre­iben, dass sie auf das Fahren von Skirennen verzichtet und auch in Zukunft als Frau leben wird.

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