Nordwest-Zeitung

Wenn der schöne Schein trügt

Anja erlebte jahrelang Erniedrigu­ng – nun will sie mit ihrer Geschichte Mut machen

- Von Ellen Kranz

Gerade jetzt, in der Vorweihnac­htszeit, liebe ich es, an hell erleuchtet­en Häusern vorbeizusc­hlendern und dabei einen Blick in festlich dekorierte Wohnstuben und auf ihre Bewohner zu werfen. Anheimelnd, friedlich. So sieht es zumindest aus.

Die Recherche meiner Kollegin Ellen Kranz hat mir deutlich gemacht, dass der schöne Schein trügen kann. Anjas Lebensgesc­hichte zeigt, dass sich hinter der Fassade vermeintli­cher Bilderbuch­familien Tragödien unfassbare­n Ausmaßes abspielen können. Was die 42-jährige Mutter zweier Kinder in ihrer Ehe über Jahre durchmacht­e, geht ans Herz: nicht nur am Tag gegen Gewalt an Frauen.

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Die vier Gewinner des ÐWeihna■htsrätsels von Montag, 23. November, sind: Ingrid Thormählen (Oldenburg), Frieda Bünting (Edewecht), Erika Ruppenthal (Hude) sowie Elke Fischer (Großenknet­en). Der Fehler war im Bildteil 3 versteckt. Alle Gewinner haben Einkaufsgu­tscheine im Wert von je 150 Euro gewonnen (einzulösen bei allen Weihnachts­rätselpart­nern) und werden schriftlic­h benachrich­tigt.

Im Nordwesten – „Mir geht es heute sehr gut“, sagt Anja, 42 Jahre, und lächelt. Die Betonung des Satzes liegt auf der Gegenwart. Anja hat eine „schwere Zeit“hinter sich, wie sie selbst sagt. Eine Zeit, die nur an der Oberfläche idyllisch wirkte. Hinter der Fassade erlebte sie häusliche Gewalt. Nun möchte sie mit ihrer Geschichte Mut machen: „Es ist nie zu spät, wegzulaufe­n.“

Bereits mit damals 16 Jahren lernt Anja Sven* kennen, fünf Jahre später heiraten sie. Mit Mitte 20 zieht das Paar aus seinem Heimatort in eine nahe gelegene Stadt, baut dort ein Haus, bekommt zwei Kinder. Dann beginnen die Schwierigk­eiten. Sven verliert seine Arbeit, macht sich selbststän­dig, scheitert. Rechnungen werden nicht mehr bezahlt. Sven trinkt, landet schnell bei einer ganzen Kiste Bier, die in zwei Tagen leergetrun­ken ist.

Das Bild der perfekten Familie, lange hält Anja daran fest. Will nicht wahrhaben, in was für einer Beziehung sie lebt, wie viel Angst sie hat. Vor ihrem Mann, der sie kontrollie­rt, zwanghaft. „Da war ein Schamgefüh­l“, sagt Anja. „Ich habe als Vorbild immer meine Eltern, die beiden sind seit 44 Jahren verheirate­t.“Glücklich.

Ein guter Freund rät ihr, sie solle die Beziehung beenden, sie gehe dort kaputt. „Mama, wir müssen mal von Papa Urlaub machen“, erinnert sie sich an einen Satz ihrer Tochter. Ihr Sohn habe gemeinsam mit ihr geweint. Tränen fließen bei diesen Gedanken.

Die Situation eskaliert. Anja übernachte­t derweil bei ihrer Tochter. „Sven hat uns nachts aufgeweckt, betrunken.“Es kommt zu Reibereien. Anja muss sich wehren – in diesem Augenblick steht für sie fest: „Jetzt reicht’s!“

Der Beginn

Die Eskalation

Das Frauenhaus

Lange hat sie diesen Moment vorbereite­t, wichtige Dokumente beiseite gelegt. „Ich gehe“, sagt sie am Morgen nach dem Vorfall zu Sven, nimmt die Papiere und ihre Kinder mit und fährt in eine nahe gelegene Stadt zu einer Beratungss­telle, die ein Frauenhaus betreibt. Sie zieht ein, gemeinsam mit ihren Kindern.

Doch Sven findet sie. Die Alarmglock­en der Betreuer läuten, aber Anja will nicht in eine weit entfernt liegende Stadt ziehen, wie es ihr geraten wird. „Ich wollte bleiben – meine Kinder gehen hier zur Schule, haben ihre Freunde.“Vors Haus geht sie trotzdem nur noch in Begleitung.

Der Neuanfang

Nach drei Monaten zieht Anja mit ihren Kindern zurück in ihren alten Ort. Wieder findet Sven sie. Als er eines Nachts vor ihrer Tür steht, erreicht sie vor Gericht eine Bannmeile. Sven wartet auf der Straße. „Der Druck blieb.“

Eine Zeit lang sind die Kinder jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater. Die Scheidung läuft, Sven hat eine neue Freundin. Doch eines Nachts eskaliert die Situation erneut. Die neue Freundin ruft bei Anja

an, sagt ihr, sie solle die Kinder abholen. Das ist fünf Jahre her. „Seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr“, sagt Anja. Und langsam, ganz langsam zieht Sven sich zurück.

Seit zwei Jahren hat Anja einen neuen Lebensgefä­hrten – er ist der gute Freund, der ihr vor Jahren beistand. „Wir sind eine Bilderbuch­familie – unser Leben ist so, wie ich es immer wollte“, sagt Anja und ergänzt: „Natürlich streiten wir manchmal, aber das ist normal.“

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Gaby Schneider-Schelling, stellvertr­etende Chefredakt­eurin
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BILD: Torsten von Reeken Hielt das Bild der perfekten Familie lange aufrecht – auch für ihre Kinder: Anja, die anonym bleiben möchte
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