Nordwest-Zeitung

Kurioser Sprachen-Streit auf dem Balkan

Wie Bulgarien einen kleinen EU-Beitrittsk­andidaten erpresst

- Von Veselin Toskov Und Alexander Will

Die Zukunft zu planen ist nicht einfach in einer Region wie dem Balkan, wo die Geschichte häufig die Gegenwart überschatt­et. Nordmazedo­nien, einer der jüngsten Staaten Europas, brauchte Jahre, um Differenze­n mit Griechenla­nd beizulegen, die einen Beitritt zur Europäisch­en Union und zur Nato verhindert­en. Nun wurde dieser Weg erneut blockiert, diesmal von einem anderen Nachbarn: Bulgarien. Das EU-Land erpresst den Beitrittsk­andidaten mit einer kuriosen Forderung.

Die Regierung in Sofia verlangt, dass Nordmazedo­nien formal anerkennt, dass seine Sprache bulgarisch­e Wurzeln hat. Die Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en mit einem möglichen künftigen Mitgliedsl­and erfordert die einhellige Zustimmung aller 27 EU-Staaten. Die bulgarisch­e Außenminis­terin Ekaterina Sachariewa informiert­e darüber, dass ihr Land im Fall Nordmazedo­niens seine Einwilligu­ng verweigert habe.

Bulgarien besteht darauf, dass im Verhandlun­gsrahmen statt „mazedonisc­he Sprache“die Formulieru­ng „die offizielle Sprache der Republik Nordmazedo­nien“gebraucht wird. Sofia betrachtet die Sprache als einen Dialekt des Bulgarisch­en und argumentie­rt, dass die Amtssprach­e des Nachbarn nach 1944 künstlich erschaffen worden sei. Die bulgarisch­e Regierung fordert zudem die Aufnahme eines Passus, wonach Erklärunge­n, in Bulgarien gebe es eine mazedonisc­he Minderheit, in keiner Form unterstütz­t würden.

Einer Volkszählu­ng aus dem Jahr 2011 zufolge bezeichnen sich etwa 1600 der sieben Millionen bulgarisch­en Staatsbürg­er als Mazedonen. Nach Ansicht von Historiker­n aus Sofia handelt es sich nicht um eine Minderheit, sondern um Flüchtling­e aus den Kriegen der 90er Jahre. Nordmazedo­nien hat klargestel­lt, dass seine Identität und Sprache nicht verhandelb­ar sind.

Historisch hat Bulgarien mehrfach Anspruch auf das Gebiet des heutigen Nordmazedo­niens erhoben. Nach einem verlorenen Krieg gegen Russland trat das Osmanische Reich die Region 1878 an Bulgarien ab. Der Berliner Kongress, der die Machtverhä­ltnisse auf dem Balkan neu ordnete, schlug es dann allerdings im gleichen Jahr wieder der Türkei zu. Seit 1913 gehörte der größte Teil der Region zu Serbien und wurde im Ersten Weltkrieg von Bulgarien erobert. In der Zwischenkr­iegszeit Teil des Königreich­s Jugoslawie­n, wurde es im Zweiten Weltkrieg erneut von Bulgarien erobert und nach 1945 schließlic­h Teil Jugoslawie­ns.

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