Worthülsen und Sprachpanscherei
Geht es Ihnen auch so? Manche Wörter nerven einfach. Da ist zum Beispiel der nicht nur aus Hör-, sondern auch aus Rats- und Gemeindesälen nicht mehr wegzudenkende „Diskurs“. Wo es früher Debatten und Diskussionen taten, da diskurst es heute an allen Ecken und Enden. Was aussieht wie der finale Triumph von Sankt Jürgen, dem heiligen Habermas der nationalen Moral, könnte tatsächlich nur der Geltungswille der Aufgeblasenen und Wichtigtuer sein.
Sprache lebt, und was lebt, ist beständigem Wandel unterworfen. Deshalb hat der Kampf auch etwas Donquijotteskes, den einige Unermüdliche gegen jede Neuerung führen, die da Einzug hält. Aufhalten werden sie den Sprachwandel nicht. Schließlich muss die Sprache ständig neue Realitäten abbilden, Begriffe für technische Neuerungen liefern und auch dem Wandel unseres Denkens Rechnung tragen. Eine Sprache, die das nicht kann, ist tot.
Und so ist es auch nicht gleich der Untergang des Abendlandes, wenn eine neue Generation sich ihr eigenes Vokabular schafft und so daherredet, dass ihre Eltern sie nicht immer verstehen. Wenn „wahllah“, und „safe“heute fester Bestandteil der Jugendsprache sind, dann hat die Globalisierung hier ihre Spuren hinterlassen. In „legit“und „nice“artikuliert sich das kosmopolitische Lebensgefühl vieler junger Leute, die sehr wohl das Recht haben, sich auch sprachlich von ihren Eltern abzugrenzen. Das wächst sich aus, kann mit einem gewissen Fatalismus konstatieren, wer als Hochschullehrer viel mit jungen Erwachsenen zu tun hat.
Anders sieht es aus, wenn Sprachpanscher Autor dieses Beitrages ist Michael Sommer. Der gebürtige Bremer ist Professor für Alte Geschichte an der Uni Oldenburg und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages, der Interessenvertretung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer in Deutschland. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
zur Tat schreiten, um den von ihnen unters Volk gebrachten Banalitäten höhere Weihen zu verleihen. Sie sagen dann „zeitnah“, wo es auch so schön-schlichte Wörter wie „bald“oder „rasch“tun würden, oder schwadronieren von „Strategien“, die „zielführend“oder „anschlussfähig“seien – so als befänden wir uns im Jahre des Unheils 1938. Was weltmännisch klingen soll, ist oft „nicht wirklich“klug.
Das gilt zumal für Phrasen, die wortwörtlich aus dem Englischen übersetzt werden: wenn man „in 2020“das und das erreichen wollte, aber „realisiert“hat, dass man „einmal mehr“unter den selbstgesteckten Zielen bleiben werde. All booster, no payload, würde der Angelsachse da sagen.
Finster wird es auch, wenn Ideologen ihre Hände im Spiel haben und die Sprache Heines und Fontanes im Namen vermeintlicher Gerechtigkeit – die immer im Auge des Betrachters liegt – verhunzen. Aus dem angeblich abwertenden (warum eigentlich?) Flüchtling wird dann ein „Geflüchteter“und der honorige Doktorand wird zum „Promovierenden“herabgestuft, was schon deshalb grundfalsch ist, weil der Kandidat im entsprechenden Verfahren nicht „promoviert“, sondern von seiner Fakultät promoviert wird.
Ernsthafte Anstrengungen, Sprachwandel per Erlass zu erzwingen, haben in der Vergangenheit, angefangen mit der Französischen Revolution, eigentlich immer nur totalitäre Regime unternommen. Sprache ist das Medium, in dem wir denken und kommunizieren. „Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf!“, schrieb vor fast 90 Jahren Kurt Tucholsky. In guten Händen ist Tucholskys Waffe bei Bürgern, die lesen und sich schon deshalb Gedanken über Sprache machen. Wer viel und Gutes liest, entlarvt die aus Politik, Wirtschaft und Medien aufsteigenden Worthülsen als das, was sie sind: Ballons, aus denen nichts entweicht als heiße Luft, sobald man sie mit einem gezielten Hieb seines scharfen Schwertes zum Platzen bringt.