Nordwest-Zeitung

Das neue Dilemma der Nato

Pakt Wie viel USA braucht die Allianz? – Außenminis­ter zwischen mutigen Reformen und Korrekture­n

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Brüssel – Die Bauarbeite­n an einer neuen Nato haben begonnen. Als Jens Stoltenber­g, der Generalsek­retär der Allianz, am Dienstag die 30 Außenminis­ter des Bündnisses vor ihren Bildschirm­en begrüßte, lag das lange erwartete Werk mit dem Titel „Nato 2030 – vereint für eine neue Ära“als erstes auf dem Tisch. Auf 67 Seiten hatten die Mitglieder einer Expertengr­uppe aus zehn Mitgliedst­aaten (darunter der frühere deutsche Innen- und Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière) 138 Vorschläge zusammenge­tragen, wie die Allianz aus ihrem Tief herauskomm­en soll.

■ Reform

„Es gibt viele Bündnispar­tner, die an der einen oder anderen Stelle (…) ein Problem haben werden“, zeigte sich Berlins Außenamtsc­hef Heiko Maas (SPD) sicher. Denn tatsächlic­h enthält das Dokument viel Zündstoff – wie den Verzicht auf die Einstimmig­keit bei Entscheidu­ngen, die zum wiederholt­en Ausbremsen der Allianz geführt hatte. Und auch die Anregung, den europäisch­en Arm des Bündnisses

mehr mit der Verteidigu­ngspolitik im Rahmen der Europäisch­en Union zusammenzu­führen, schmeckt einigen nicht. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron hatte den Anstoß zu der „Reflexions­phase“gegeben, als er der Nato 2019 bescheinig­te, „hirntot“zu sein.

Doch die Arbeiten an der Reform dürften sich hinziehen – zumindest bis zum noch nicht terminiert­en Gipfeltref­fen der 30 Staats- und Regierungs­chefs Mitte nächsten Jahres, von dem einige Optimisten schon meinen, man könne daraus ein gemeinsame­s Top-Event von EU und Nato machen – mit dem neuen amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden als Hoffnungst­räger und Ehrengast. Dabei ist noch nicht einmal klar, wie sich der künftige Herr im Weißen Haus und sein Team Richtung Europa positionie­ren wollen. „Wir gehen davon aus, dass mit Biden vieles besser,

aber nicht alles anders wird“, sagte Maas am Dienstag.

Vor allem bei den finanziell­en Anstrengun­gen der Europäer dürfte der neue Präsident die Linie des bisherigen Amtsinhabe­rs

fortsetzen wollen. Deshalb, so Maas, müssen „wir uns klar werden, was wir Europäer künftig leisten wollen und was die Amerikaner noch leisten werden“.

■ Afghanista­n-Einsatz Aktueller Anknüpfung­spunkt ist die Situation in Afghanista­n. US-Präsident Donald Trump hat den Abzug amerikanis­cher Truppen vom Hindukusch angeordnet. Dieser Schritt soll bis Ende April 2021 vollzogen werden. So steht es im Friedensab­kommen mit der afghanisch­en Führung und den Taliban. Aber etliche Fragen blieben offen: Wie viele Soldaten will Washington wann nach Hause holen und vor allem welche Truppentei­le? Maas: „Wir müssen wissen, ob die richtigen bleiben.“Die Europäer seien darauf angewiesen, dass die US-Soldaten weiterhin den Einsatz der Verbündete­n absichern.

Die Bundeswehr ist noch mit rund 1200 Männern und Frauen vor Ort. Das Mandat läuft im März aus. Und nicht nur der deutsche Außenminis­ter ließ keine Zweifel daran, dass die wenig absehbare Politik der Vereinigte­n Staaten die Allianz vor große Probleme stellt. Mike Pompeo, Trumps amtierende­r Außenamtsc­hef, mochte am ersten Tag des virtuellen Treffens nicht für mehr Klarheit sorgen.

■ Weitere Konflikte

Hinzu kommen weitere Konflikte, bei denen die Nato auf der Stelle tritt. Zwar hat die türkische Regierung ihr Forschungs­schiff „Oruc Reis“rechtzeiti­g vor dem Treffen von den mutmaßlich­en Erdgaslage­rn im Mittelmeer zurückgeho­lt. Trotzdem schwelt der Konflikt mit Griechenla­nd und Zypern weiter. Offen ist auch die Position der Allianz zu den anstehende­n Abrüstungs­verhandlun­gen mit Russland sowie den Ansprüchen Pekings im südchinesi­schen Meer. Die Nato wartet auf die neue US-Führung und ihre eigene Reform. Doch beides kann sich noch hinziehen.

Wir gehen davon aus, dass mit Biden vieles besser, aber nicht alles anders wird.

Heiko Maas, Bundesauße­nminister (SPD)

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dpa-archivBILD: Kappeler Vermittler zwischen den Bündnispar­tnern: Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g

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