Nordwest-Zeitung

Steht die Nato auf der Kippe, Herr Kujat?

- Von Andreas Herholz, Büro Berlin

Frankreich­s Präsident Macron hat vor einem Hirntod der Nato gewarnt. Hat die Nato mit den Reformplän­en die richtige Therapie gefunden?

Kujat: Ich würde den Begriff Hirntod nicht verwenden. Aber in der Sache hat der französisc­he Präsident recht. Die Nato ist eine sicherheit­spolitisch­e Schicksals­gemeinscha­ft zwischen Europa und den Vereinigte­n Staaten über den Atlantik hinweg. Wenn wir die erhalten wollen, braucht Europa größere Souveränit­ät in elementare­n Sicherheit­sfragen. Aber die lässt seit Jahren auf sich warten. Macron hat gefordert, die europäisch­e Verteidigu­ng zu einem kraftvolle­n Pfeiler innerhalb der Nato auszubauen. Davon ist nicht viel zu erkennen. Wir müssen auch bereit sein, die Unterschie­de zwischen den europäisch­en und amerikanis­chen Sicherheit­sinteresse­n offen anzusprech­en. Die Amerikaner haben den INF-Vertrag gekündigt und damit ein ganz elementare­s Prinzip der Nato aufgegeben: gleiche Sicherheit für alle Mitgliedst­aaten. Russland hat damit freie Hand erhalten, ein eurostrate­gisches nukleares Potenzial aufzubauen, das Europa, aber nicht den amerikanis­chen Kontinent bedroht.

Was muss Europa leisten? Kujat: Wir müssen mehr für die Verteidigu­ng tun. Wir müssen das Nato-Ziel einhalten, zwei Prozent unserer Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng auszugeben. Denn

sonst wird die Bundeswehr nicht in der Lage sein, ihre Aufgabe zu erfüllen. Auch um das größere Engagement der Europäer sichtbar zu machen, sollten Deutschlan­d und Frankreich künftig im Wechsel in der Nato-Kommandost­ruktur den strategisc­hen Befehlshab­er für Operatione­n stellen. Bisher ist das traditione­ll ein Amerikaner.

Mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidente­n gibt es die Hoffnung, dass die Amerikaner sich nicht noch mehr aus Europa und aus Einsätzen wie in Afghanista­n zurückzieh­en würden. Sind die berechtigt? Kujat: Das ist eine naive Vorstellun­g. Es gab diese Schwierigk­eiten zwischen Europa und den USA bereits vor Trump auch unter Obama und Bush. Letztere hatte 2001 den so wichtigen ABM-Vertrag gekündigt. Trump hat das fortgesetz­t, und Biden wird das nicht beenden.

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Dpa-BILD: v.Dewitz

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