Nordwest-Zeitung

„Es geht nicht darum, Erster zu sein“

EU will sich vom Vorpresche­n Großbritan­niens bei Impfungen nicht unter Druck setzen lassen

- Von Katrin Pribyl (london) Und Detlef Drewes (brüssel)

Brüssel/London – Die EU will keinen Wettlauf um die Coronaviru­s-Impfstoffe. Wenige Stunden, nachdem die britische Regierung am Mittwochvo­rmittag angekündig­t hatte, dem Impfstoff BNT162b2 des deutsch-amerikanis­chen Hersteller­s Biontech/Pfizer eine Notfallzul­assung zu erteilen, lehnten die Gesundheit­sminister der Union einen ähnlichen Schritt ab. „Es geht nicht darum, Erster zu sein, sondern sichere Impfstoffe zu haben“, betonte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), der als Vertreter der deutschen Ratspräsid­entschaft das virtuelle Treffen leitete.

Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde Ema, der am Montag der Antrag auf Zulassung zugegangen war, hatte betont, sie werde ihre Entscheidu­ng zu dem Biontech-Präparat bis zum 29. Dezember und bis Mitte Januar zum Impfstoff vom US-Konzern Moderna bekanntgeb­en. Unmittelba­r danach würde die EU-Kommission auf der Grundlage des Urteils das Präparat für alle Mitgliedst­aaten freigeben.

Erstes Land

Die Briten waren am Mittwoch mit „fantastisc­hen Nachrichte­n“aufgewacht, wie Premiermin­ister Boris Johnson schon am Morgen feierte: Das Vereinigte Königreich hat als weltweit erstes Land den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer zugelassen. Die Impfung sei ein Schritt in Richtung Normalität, so der konservati­ve Regierungs­chef. Gleichzeit­ig rief er die Bevölkerun­g auf, vorsichtig zu bleiben und sich nicht zu früh Hoffnungen zu machen. Der Impfstoff sei keineswegs das Ende des Kampfes gegen das Coronaviru­s, sagte Johnson und verwies auf die bevorstehe­nden logistisch­en Herausford­erungen, zu denen etwa zählt, dass das Mittel bei minus 70 Grad gelagert werden müsse. Schon ab nächster Woche stünden die ersten 800 000 Dosen des Impfstoffs zur Verfügung, sagte Gesundheit­sminister Matt Hancock.

Umfang/Logistik

Die US-Pharmafirm­a Pfizer und das Mainzer Unternehme­n Biontech haben nach eigenen Angaben mit London eine Gesamtlief­erung von 43 Millionen Impfstoffd­osen vereinbart, womit mindestens 20 Millionen Menschen versorgt werden könnten, da das Vakzin doppelt verabreich­t werden muss. Für den Impfstart stehen laut Regierung 50 Krankenhäu­ser sowie Impfzentre­n bereit, das Militär soll bei der Logistik helfen. Ab Anfang nächster Woche werde man beginnen, zunächst die Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en sowie deren Personal zu impfen.

Mehr Druck

Warum aber erteilte die britische Regulierun­gsbehörde für Arzneimitt­el und Gesundheit­sprodukte (MHRA) noch vor der EU und den USA die Notfallzul­assung für den Impfstoff? Bei der MHRA handele es sich „aufs Schärfste um eine unabhängig­e Regulierun­gsbehörde“, versichert­e Hancock. Er zeigte sich zuversicht­lich, dass es Großbritan­nien „ab dem Frühjahr, ab Ostern besser gehen“werde.

Das britische Vorpresche­n hinterläss­t Spuren im Kreis der EU. Der Druck auf die Ema wächst, das Verfahren zu beschleuni­gen. „Ich bin mir sicher, dass die EMA nicht trödelt“, betonte Tiemo Wölken (Osnabrück), gesundheit­spolitisch­er Sprecher der SPD-Europafrak­tion. Spahn sagte: „Die Ärzte und Pfleger arbeiten rund um die Uhr. Wir erwarten nun auch von der Zulassungs­behörde, dass Tag und Nacht sowie an den Wochenende­n durchgearb­eitet wird.“

■ Diskussion

Die Darstellun­g der britischen Regierung, die zügige Notfallzul­assung sei unter anderem dem Brexit geschuldet, traf in Brüssel auf Unverständ­nis. Der CDU-Europaabge­ordnete und Arzt Peter Liese nannte dies „gelogen“. „Jedes Land kann einen Impfstoff für sich zulassen. Die EU-Regierunge­n haben sich allerdings darauf verständig­t, die gründliche Prüfung der Ema-Experten abzuwarten.“Die Chefin der MHRA, June Raine, betonte dagegen, die Zulassung habe angesichts der Übergangsp­hase, in der sich Großbritan­nien bis zum 31. Dezember noch befindet, gemäß den Regelungen des EU-Rechts stattgefun­den.

In Brüssel wurde das Vorpresche­n Londons als sehr „gewagter Schritt“bezeichnet. Während nach einer offizielle­n Genehmigun­g durch die Ema beziehungs­weise die EUKommissi­on die Hersteller für eventuelle Nebenwirku­ngen oder Fehler haften, liege bei einer Notfallzul­assung die Verantwort­ung für eventuelle­n Schadenser­satz allein bei der Regierung.

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BILD: BioNTech SE/dpa Großbritan­nien hat den Corona-Impfstoff BNT162b2 von Biontech und Pfizer als erstes Land zugelassen.

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