Wenn’s ernst wird, denkt jeder an sich
Es ist nicht weit her mit den vollmundigen Lippenbekenntnissen vieler westlicher Industriestaaten zum freien Handel und gegen alle Formen von Protektionismus. Wenn es eng wird, ist jedem dann doch das eigene Hemd immer noch am nächsten. Kaum einer kann für sich in Anspruch nehmen, anders zu handeln. Das gilt offenbar unabhängig davon, ob gerade ein bekennender Protektionist in einem wichtigen Land die Richtung bestimmt, wie in den USA zuletzt Ex-Präsident Donald Trump, oder nicht, wie nun Joe Biden.
Gerade dieser Tage, mitten in der Corona-Krise mit ihren dramatischen Herausforderungen, erhalten wir dafür Anschauungsunterricht erster Güte. Zu lesen ist, dass der ohnehin mit Image-Problemen kämpfende Impfstoff-Hersteller Astrazeneca seine Lieferungen an die EU im ersten Halbjahr um mehr als die Hälfte kürzt. Einfach so – Verträge hin, Verträge her. Begründet wird das mit Exportbeschränkungen.
Da tun sich derzeit insbesondere die USA hervor, die Millionen von Impfdosen des schwedisch-britischen Konzerns bunkern. Auch den Briten wirft die EU vor, Impfstofflieferungen ins Ausland zu behindern, spricht aber ungeachtet dessen selbst davon, zu diesem Instrument greifen zu wollen.
Für Deutschland sind Ausfuhrbeschränkungen ebenso wenig ein Fremdwort, wie man zu Beginn der Pandemie bewies, als man wegen Eigenbedarfs lieber keine Masken und Schutzausrüstungen an EU-Partner abgeben wollte. Das Wort Freihandel und offene Grenzen gilt offenbar nur in guten Zeiten.
Wenn es anstrengend wird, nimmt man rasch das StoppSchild zur Hand. Dass die Praxis nationalstaatlichen Denkens in der Pandemie auf breiter Front Auftrieb bekommen hat, ist keine gute Nachricht. Denn der freie Welthandel ist immerhin eine der wesentlichen Quellen für den Wohlstand in vielen Ländern. Und ganz besonders davon profitiert hat die vergangenen Jahrzehnte die große Exportnation Deutschland.
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