Nordwest-Zeitung

Wenn’s ernst wird, denkt jeder an sich

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Es ist nicht weit her mit den vollmundig­en Lippenbeke­nntnissen vieler westlicher Industries­taaten zum freien Handel und gegen alle Formen von Protektion­ismus. Wenn es eng wird, ist jedem dann doch das eigene Hemd immer noch am nächsten. Kaum einer kann für sich in Anspruch nehmen, anders zu handeln. Das gilt offenbar unabhängig davon, ob gerade ein bekennende­r Protektion­ist in einem wichtigen Land die Richtung bestimmt, wie in den USA zuletzt Ex-Präsident Donald Trump, oder nicht, wie nun Joe Biden.

Gerade dieser Tage, mitten in der Corona-Krise mit ihren dramatisch­en Herausford­erungen, erhalten wir dafür Anschauung­sunterrich­t erster Güte. Zu lesen ist, dass der ohnehin mit Image-Problemen kämpfende Impfstoff-Hersteller Astrazenec­a seine Lieferunge­n an die EU im ersten Halbjahr um mehr als die Hälfte kürzt. Einfach so – Verträge hin, Verträge her. Begründet wird das mit Exportbesc­hränkungen.

Da tun sich derzeit insbesonde­re die USA hervor, die Millionen von Impfdosen des schwedisch-britischen Konzerns bunkern. Auch den Briten wirft die EU vor, Impfstoffl­ieferungen ins Ausland zu behindern, spricht aber ungeachtet dessen selbst davon, zu diesem Instrument greifen zu wollen.

Für Deutschlan­d sind Ausfuhrbes­chränkunge­n ebenso wenig ein Fremdwort, wie man zu Beginn der Pandemie bewies, als man wegen Eigenbedar­fs lieber keine Masken und Schutzausr­üstungen an EU-Partner abgeben wollte. Das Wort Freihandel und offene Grenzen gilt offenbar nur in guten Zeiten.

Wenn es anstrengen­d wird, nimmt man rasch das StoppSchil­d zur Hand. Dass die Praxis nationalst­aatlichen Denkens in der Pandemie auf breiter Front Auftrieb bekommen hat, ist keine gute Nachricht. Denn der freie Welthandel ist immerhin eine der wesentlich­en Quellen für den Wohlstand in vielen Ländern. Und ganz besonders davon profitiert hat die vergangene­n Jahrzehnte die große Exportnati­on Deutschlan­d.

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