Nordwest-Zeitung

In der Krise zeigt sich Charakter

Armin Maus über das Ausmaß der Maskenaffä­re von Löbel und Nüßlein

- Autor dieses Beitrages ist Armin Maus (Jg. 1964). Der freie Autor war bis Anfang 2021 Chefredakt­eur der Braunschwe­iger Zeitung. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

In der Krise bewährt sich der Charakter – oder auch nicht. Die beiden Unionsabge­ordneten Nikolas Löbel und Georg Nüßlein hielten es auf dem Höhepunkt der Corona-Krise für vertretbar, sechsstell­ige Summen zu kassieren, für die Vermittlun­g von Liefervert­rägen für dringend benötigte Schutzmask­en. Mit dieser Einschätzu­ng stehen sie allein.

Wer angetreten ist, dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen, darf solche Geschäfte nicht machen. Die Empörung darüber könnte größer nicht sein. Beide Abgeordnet­en haben inzwischen Partei und Fraktion verlassen, Löbel besaß darüber hinaus immerhin den Anstand, sein Abgeordnet­enmandat niederzule­gen. Nüßlein, er war gerade noch stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r, ist dazu bisher nicht bereit. Er beklagt sich, er werde vorverurte­ilt.

Missbrauch des Mandats

In der Krise bewährt sich die Klugheit – oder auch nicht. Beunruhige­nd ist die Vorstellun­g, dass Männer mit so offenkundi­gen Defiziten bei Augenmaß und Selbstrefl­exion über wesentlich­e Fragen unseres Landes entschiede­n haben. Die Bürgerinne­n und Bürger dürfen von ihren Abgeordnet­en mehr erwarten.

Wer Abgeordnet­er ist, muss seine Berufstäti­gkeit nicht vollständi­g aufgeben. Dies ist ein nachvollzi­ehbares Zugeständn­is an Freiberufl­er und andere, die das Parlament braucht, um so etwas wie ein sachverstä­ndiger Spiegel der Gesellscha­ft zu sein. Nur gehen Parteien, Regierung und Bundestag klug genug mit den Risiken um, die diese Freiheit in sich trägt?

Der Deutsche Bundestag versammelt­e die Verhaltens­neten regeln für seine Mitglieder auf 62 Seiten, die Formulieru­ngen des Abgeordnet­engesetzes und des Parteienge­setzes sind von erfreulich­er Klarheit und Allgemeinv­erständlic­hkeit.

Aber Löbel und Nüßlein zeigen, dass alle bisherigen Verbote, Anzeige- und Veröffentl­ichungspfl­ichten den Missbrauch des Mandats nicht verhindern. Beide Abgeordnet­en wähnten sich sogar im Recht. Spätestens der Fall des ehemaligen CDU-Hoffnungst­rägers Philipp Amthor, der politische­n Einfluss gegen

Unternehme­nsanteile verhökerte, zeigte die Lücken in Transparen­z und Kontrolle.

Die Fraktionsf­ührung der Union hat gegen das Verhalten von Löbel und Nüßlein eindeutig Stellung bezogen. Das war notwendig. Ihr aufkläreri­scher Gestus wirkt aber wenig überzeugen­d. Die selbstgefä­llige Schlagzeil­e auf der Internetse­ite der CDU/ CSU-Fraktion, „Fraktionsf­ührung greift hart durch“, ist so unfreiwill­ig komisch, dass der Patient zur Behandlung auf die NDR-Intensivst­ation eingeliefe­rt werden sollte.

In der Krise beweist sich die Handlungsf­ähigkeit – oder auch nicht. Ein strenger Verhaltens­kodex soll jetzt entstehen? Wenn man an die Wirksamkei­t der geltenden Regeln nicht glaubt, warum hat man sie nicht längst verschärft? Warum war und ist die Offenlegun­g sämtlicher wirtschaft­licher Verflechtu­ngen zwischen Lobbyisten und Parlamenta­riern bei einem Teil des politische­n Berlins das unbeliebte­ste Thema, gleich nach dem staureiche­n Berliner Innenstadt­verkehr?

Der Fraktionss­pitze geht es allzu offensicht­lich darum, den Rest der Unionsparl­amentarier vor dem Generalver­dacht der Geschäftem­acherei zu schützen. Dieser Generalver­dacht wäre so falsch wie verheerend. Aber es wird nun nicht ohne drastische Schritte gehen. Amthor, Nüßlein und Löbel haben den Ruf des Parlaments viel tiefergehe­nd beschädigt, als es sich viele in Berlin eingestehe­n.

Was die Unionsfrak­tion und mit ihr der ganze Bundestag, was auch alle Landesparl­amente nun bräuchten, wäre jene Transparen­z, die herzustell­en die Mehrheit der Abgeord

bisher nicht bereit war. Nota bene – nicht die Arbeitskon­takte zwischen Abgeordnet­en und Verbänden sind das Problem. Sie sind für die parlamenta­rische Arbeit unverzicht­bar. Aber wenn Geld ins Spiel kommt, sollten alle Abgeordnet­en zum Schutz ihrer Glaubwürdi­gkeit vollständi­ge Transparen­z schaffen.

Skandal zur Unzeit

In der Krise bewährt sich die Kompetenz – oder auch nicht. Der Skandal trifft unser politische­s System zu einem Zeitpunkt, in dem Pleiten und Pannen ein kritisches Ausmaß erreichen. Zu wenig Impfstoff, massive Organisati­onsproblem­e bei der Vergabe der Impftermin­e, erschrecke­nd nachlässig­er Umgang mit der Existenzno­t von Unternehme­n, eine weitere zunächst folgenlose Test-Ankündigun­g des Bundesgesu­ndheitsmin­isters, die sträfliche Vernachläs­sigung des Know-how der kommunalen Ebene durch Bund und Länder und ein Regelungsd­schungel, in dem sich viele Bürgerinne­n und Bürger kaum noch zurechtfin­den – das bisher recht erfolgreic­he Corona-Management von Bund und Ländern droht, in eine Schieflage zu geraten.

Das Ende der Corona-Krise haben wir erst erreicht, wenn der Großteil der Bürgerinne­n und Bürger geimpft ist. Der Beschleuni­gung sind Grenzen gesetzt – aber sie dürfen nicht in der Qualität des politische­n Management­s liegen. Es darf nicht bis zum Ende des Jahres dauern, bis wir zu Verhältnis­sen zurückkehr­en, in denen es normal ist, sein Geschäft und sein Restaurant zu öffnen, in Gemeinscha­ft Sport zu treiben, ins Kino zu gehen und Freundscha­ften in größerer Runde zu pflegen.

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