„Oft werden wir nicht einmal erwähnt“
Sprachtherapeuten fordern mehr Wahrnehmung – Praxisalltag zeitweise unmöglich
Oldenburg/Westerstede – Für viele Bereiche stehen nach dem monatelangen Lockdown derzeit Lockerungen an. Anders sah es in den letzten Tagen bei Sprachtherapeutischen Praxen in Niedersachsen aus. Am vergangenen Montag wurden sie von einer neuen Verordnung überrascht, die ihnen von einen auf den anderen Tag vorschrieb, dass sie von ihren Patienten einen tagesaktuellen Test einfordern müssen.
Großes Unverständnis
Bei Logopädinnen und Logopäden wie Kathrin Trappe stoßen solche undurchdachten Forderungen auf Unverständnis. Die Oldenburgerin ist als fachliche Leitung in der Westersteder Praxis für Sprachtherapie von Melanie Kaufhold tätig. „Testen ist sicherlich sinnvoll, aber unter den aktuellen Umständen war die Regelung schlichtweg nicht umsetzbar“, sagt sie, „denn mal angenommen, in einer Praxis sind zwei Vollzeitkräfte tätig, so liegt der wöchentliche Testbedarf bei etwas 80 bis 100 Tests. Wer liefert diese lückenlos und bezahlt den Aufwand?“In der vergangenen Woche mussten infolgedessen also 80 Prozent
Sprachtherapeuten wie Katrin Trappe wünschen sich in Zeiten der Pandemie mehr Unterstützung und Wahrnehmung.
der täglichen Arbeit wegfallen. Am Donnerstag Nachmittag kam dann die erlösende Nachricht: Die Testpflicht wurde zurückgenommen. Katrin Trappe ist sich sicher, dass dazu auch die Anstrengung und der Protest der gesamten Branche beigetragen hat, die den neuen Beschluss nicht einfach hinnahm.
Trotz Rücknahme der Regelung sind Katrin Trappe und
ihre Kolleginnen und Kollegen in der Region enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass sie nach einem Jahr Pandemie scheinbar immer noch nicht richtig wahrgenommen werden. „Oft werden wir in Verordnungen nicht einmal erwähnt“, berichtet sie, „und dann wird uns plötzlich so eine Regelung vorgeschrieben, und das obwohl ein Jahr lang in den Praxen alles einwandfrei funktioniert
hat.“
Um die Sicherheit der Beschäftigten und der Patienten gewährleisten und die Kontakte weitestgehend reduzieren zu können, wurde in den meisten Sprachtherapeutischen Praxen Tele- und Videotherapie eingeführt. Alle Hygienevorschriften wurden umgesetzt und der Arbeitsalltag komplett umstrukturiert. „Wir arbeiten nun so, dass sich die
Patienten untereinander nicht mehr begegnen und wir die Räume nach jedem Patientenbesuch durchlüften können“, sagt Katrin Trappe. Die Kapazitäten könnten so nicht voll ausgelastet werden, was zu finanziellen Einbußen führe. Das Wichtigste sei aber, dass die Therapien überhaupt stattfinden können. Denn viele Patienten seien darauf angewiesen und kämen sogar zwei bis drei Mal die Woche. „Beispielsweise bei einem Schlaganfall, da können wir nicht einfach sagen, dass aktuell keine Therapie möglich ist“, betont Katrin Trappe. „Da geht es auch um Dinge wie die Nahrungsaufnahme. In solchen Fällen muss zeitnah für eine Reaktivierung gesorgt werden.“
Prävention und Weitblick
Therapie bedeute sichere Orte zu schaffen, um Entwicklung zu ermöglichen und gesund zu bleiben oder zu werden. „Wir sind nicht zu müde, für die aktuelle Lage weitere gute Lösungen zu entwickeln und Kräfte zur Überwindung dieser Lage zu mobilisieren“, sagt Katrin Trappe. Doch dafür brauche es mehr Unterstützung und Wahrnehmung des Berufes. „Prävention und Weitblick waren schon immer bessere Berater als Angst und schnelle Lösungen.“